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Warum ich einmal von Depeche Mode träumte

Eija's birthday cake

foto:abi_skipp@flickr.com

Ich träume selten. Sehr selten. Das war schon immer so. Ich wurde ab Werk unträumend ausgeliefert. Umso prägnanter sind dann richtige, echte, umfangreiche Träume, wenn ich sie dann mal ganz durchträume. Umso genauer kann ich mich an sie auch später erinnern.

Es muss kurz vor der Wende gewesen sein. Die DDR hatte eine Jugendorganisation, einen Jugendradiosender, eine Jugendfernsehsendung. Die DDR hatte jede Menge Jugend. Eine Jugend, die nur noch wenig Angst vor kapitalistischen Langstreckenraketen hatte und sich stattdessen fragte, warum offiziell und inoffiziell immer stärker auseinanderdrifteten.

Ich war damals 12 Jahre alt und träumte von Depeche Mode.

Die Entscheider hatten sich lange bearbeiten und schließlich breitschlagen lassen, eine Schallplatte von Depeche Mode auch in der DDR zum Verkauf anzubieten. Die Entscheider hatten sich lange bearbeiten und schließlich breitschlagen lassen, ein Konzert von Depeche Mode auch in der DDR zuzulassen. Das Jugendradio DT64 spielte jede Woche in der Nischensendung „electronics“ den „Depeche-Mode-Titel der Woche“. Ich weiß noch, dass ich mir oft ziemlich uncool vorkam, Sonnabendnachmittag zwischen zwei und drei vor dem Rekorder zu hocken und auf das scheppernde Radkappenrollen von „Behind the wheel“ zu warten, das den nächsten DeMo-Titel ankündigte.

Aber hey, es war schließlich Depeche Mode!

Die Band schlich sich Mitte der Achtziger in meine Gehörgänge. Als ich später Englisch lernte, war ich ziemlich froh, dass die Texte – im Gegensatz zu anderen Melodienkünstlern – mit der Musik in puncto Qualität mindestens mithalten konnten. Und außerdem: Synthesizer! Remixe!! Bassdrums, Sägezahnsounds und eingängige Bariton-Refrain-Hooks!!!

Ich habe Geld bezahlt für schlechte Fotokopien von Bildern von Depeche Mode. Ich habe jede „Formel Eins“-Sendung gesehen, denn Depeche Mode hätte ja dort auftreten oder mit einem Video vertreten sein können. Ich habe die „FF dabei“, die „Junge Welt“, ja selbst den Nordkurier-Vorgänger „Freie Erde“ nach Depeche-Mode-Beiträgen durchgescannt, die mussten da doch drüber schreiben, verdammich, die können doch gar nicht anders, sehen die denn nicht, wie großartig diese Band ist, Himmeldonnerwetternochmal!!!???!!!

Ich habe damals geträumt, einen großen Sack zu finden. Verrückt, nicht? Einen großen Sack, voll mit allen CDs, Kassetten, Bildern, Texten und anderem Krams. Von Depeche Mode. Ich bin in meinem Leben seither nie wieder Fan von irgendjemandem oder von irgendwas geworden (mit privatmenschlichen Ausnahmen), aber Ende der 80er Jahre habe ich eine ganze verdammte Nacht davon geträumt, endlich Zugang zu jedem noch so kleinen Schnipsel zu haben, den diese Jungs da in England jemals produziert haben. Ich habe geträumt, in dem Sack sind alle Depeche-Mode-Alben als Kassette komplett mit Artwork drin, alle Remixe, alle Maxi-Versionen, alle Zeitungsausschnitte, alle Fernsehsendungen.

Alles. ALLES!!! Der Traum eines Zwölfjährigen.

Und komisch. Heute kaufe ich mir maximal das neue Album. Ich war auf bislang drei Konzerten. Die Remixe interessieren mich bedingt, die Zeitungsbeiträge hin und wieder, die Interviews in Ausnahmefällen. Das neue Album „Delta Machine“ finde ich toll, eine 380-prozentige Steigerung gegenüber „Sounds of the universe“, wenn man mich fragen täte. Fast am Stück komplett durchhörbar.

Aber: kein Traum mehr. Ich könnte alles haben, will es aber nicht mehr. Das liegt am Alter, auch, ja; aber auch daran, dass es jetzt ginge. Das nötige Taschengeld vorausgesetzt könnte ich mir jeden Tonschnipsel besorgen, den Depeche Mode in den vergangenen 30 Jahren jemals produziert haben. Aber: Depeche Mode sind nicht mehr „doppelt unerreichbar“.

Warum sie früher „doppelt unerreichbar“ waren, haben zwei noch größere Fans aufgeschrieben. Dennis Burmeister aus Malchin und Sascha Lange aus Leipzig haben das gemacht, was eigentlich lange schon überfällig gewesen ist: Alles einfach mal aufzuschreiben. Die Extraordinärität der Depeche-Mode-Fans hat sich herumgesprochen, und ich scheue den Vergleich nicht: Depeche Mode sind die neuen Beatles.

„Monument“ ist der Beweis. Das Buch der beiden Edel-Fans hat schon jetzt Kult-Status: Fast 430 Seiten mit allen Tonträgern, mit viel Promo-Krams, mit manchen Autogramm- und Konzertkarten, mit wenigen Raritäten. Eine Depeche-Mode-Bibel haben die beiden da geschaffen. Die nicht unbedingt für ihre grenzenlose Toleranz bekannte Fan-Community hat sich selten so einmütig über eine Neuerscheinung betreffs ihrer Band geäußert.

In Neubrandenburg habe es einen nicht kleinen DM-Fanclub namens „Rosebowl ’88“ gegeben, ist in dem Buch zu lesen. Die noch heute republikweit stattfindenden Depeche-Mode-Partys gehen auch auf die legendären Veranstaltungen des Neubrandenburger Fanclubs zurück. Puh!

Noch mehr zu „Monument“ habe ich für den heutigen Nordkurier/Wochenendkurier aufgeschrieben.

4 Antworten auf „Warum ich einmal von Depeche Mode träumte“

Ein toller Text! Hab mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen. Tja 🙂 Die Neubrandenburger haben’s halt drauf 🙂
Danke Sebastian.

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