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Auf dem Trampelpfad zum Titel – Toni Kroos

Das 1:0 von Toni Kroos im Champions-League-Achtelfinale der Bayern gegen Arsenal war ein hübscher Schuss, zweifellos. Doch hübsche Schüsse können viele. In diesem Fall wären 90 Prozent der Schießenden wohl erfolglos geblieben, wären sie nach dem Pass auf Lahm stehengeblieben. Toni Kroos hat aber weitergedacht: Was, käme der Ball von Lahm gleich wieder zurück? Ist doch alles recht frei hier, oder? Direktabnahme! Hmm, ungünstiger Winkel, trippel’ ich doch mal präventiv ein büschen Richtung Spielfeldmitte, und wenn jetzt … BÄMM!

Eine Petitesse, sicher, aber immerhin eine aus dem richtigen Spiel. Toni Kroos war Bayern München in diesem Spiel. Seine Pässe, seine Präsenz, sein Abwägen, seine Entscheidungen. Kein Leader, sondern ein Kopf. Einer, dem in diesem Spiel alle gerne den Ball anvertraut haben, eine Ballvertrauensperson, ein Bayernballbevollmächtigter. Der in den richtigen Momenten zudem einfach auch mal draufgehalten hat. Marc Andruszko vom Schlenzer-Blog staunte schon vor Jahren über Toni Kroos:

Herr Kroos, ich erin­nere mich nicht genau daran, was Sie mit dem Ball anstell­ten, aber ich weiß noch, dass die Erkennt­nis aus die­sem Spiel mich umhaute. Ich rief noch auf dem Weg aus dem Sta­dion zur U-Bahn-Station einen Men­schen an, der genauso fuß­ball­ver­rückt ist wie ich und sagte ihm ohne Umschweife: „Ich habe Toni Kroos gese­hen. Ich habe noch nie jeman­den so intel­li­gent spie­len sehen wie ihn.“

Nun ist es so, dass herausragende Spielintelligenz manchmal nur die erfolgreiche Schwester von Lauffaulheit, Blässe und Arroganz ist. Läuft’s mal nicht so rund, taucht Spielintelligenz in keiner Statistik, in keinem Spielbericht, in keinem Fazit auf. Nicht nur ihrer mecklenburg-vorpommerschen Herkunft wegen denke ich deshalb manchmal an Tim Borowski, wenn ich Toni Kroos sehe, gerade in seinen schlechteren Spielen. Auch Borowski war ja kein Kämpfer vor dem Herrn, sondern jemand, der ein Spiel lesen konnte, der seine Mannschaft dirigieren konnte und in seinen besten Partien die gegnerische gleich noch mit dazu. Und die Kopfball-Ablage auf Klose war genauso gewollt, ganz sicher.

Und deshalb wird Toni Kroos in Brasilien das deutsche Mittelfeld bereichern. Weil er gezeigt hat (und wohl noch ein paar Mal zeigen wird), wie Bollwerke aufzudröseln sind. Weil er einen Schuss hat. Weil er einer dieser „Heroen des Spiels“ ist, von denen der Trainer jüngst schrieb, die sich „im Nichts des Spielfeld-Zentrums“ stets zurechtfinden. Weil er auch mal Wucht kann, wenn er will. Wenn nicht, ist er allerdings auch ein Kandidat für einen taktischen Wechsel in der 65. Minute., um noch mal ’ne Runde Schwung aufs Feld zu bringen.

Was aber die Bayern und Toni Kroos betrifft, hat der Herr Schulze nach dem Arsenal-Spiel dazu schon alles gesagt:

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Spaß Sport

Auf dem Trampelpfad zum Titel: Die Gleichung

ballnetz 1-9+5•4
÷1-(9+7)÷4
-1•9÷√9+0
= 2⁰•1+4

(So. Hamwa das auch.)

Foto: Electric Eye via Flickr unter CC-Lizenz by-nc

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Auf dem Trampelpfad zum Titel – Miroslav Klose

Germany vs USA | Miro Klose

Foto: Boomcha7 via Flickr unter CC-Lizenz by-nc-nd

Es war ein typischer Klose.

Lazio gegen Inter, Rom hat ganz gute Torchancen, Mailand weniger gute, zehn Minuten vor Schluss steht es 0:0. Angriff Lazio, Roms Stürmer Miroslav Klose lauert auf Höhe des Elfmeterpunkts etwa zwei Meter schräg hinter seinem Gegenspieler. Eine Flanke betritt von rechts den Strafraum. Schon als der Flankende zum Schusse anhob, startete die Miro-Maschine: Blick nur noch zum Ball, Körperschwerpunkt tiefergelegt, sieben schnelle Sprintschritte. Mit dem vierten war er am Gegenspieler vorbei, dessen – nur allzu verständlicher – Fehler es gewesen war, sich im Strafraum gleich zwei Mal zu Klose umzudrehen. Wo steckt Klose? Was macht Klose? Beim zweiten Umdrehen verpasste er den Vorspann zur Flanke; und als er sie registrierte, war es schon zu spät: Klose war längst vor ihm, hielt den rechten Fuß hin und schoss Lazio zum verdienten Sieg.

In einem Interview hatte Miroslav Klose mal gesagt, dass er durchaus „ein ziemlich dickköpfiges Bambi“ sein kann. Das ist keine schlechte Näherung an den Toreschießer der Nation. Scheu wie ein Jungreh, wenn es darum geht, große Worte und Reden zu schwingen oder totalarschlochig zum Erfolg zu kommen, dafür stur wie ein echter Pommernbursche, wenn der Ball ins Tor muss. Das klassische Beispiel dafür ist für mich das 1:0 im WM-Achtelfinale 2010 gegen England, als sie ihm wahrscheinlich noch drei weitere Briten ans Bein hätten binden können – Klose hat das Tor gewollt, Klose hätte das Tor gemacht.

Wenn die Nationalmannschaft am 16. Juni gegen Portugal in die WM startet, wird Miroslav Klose gerade 36 Jahre alt geworden sein. Seit 13 Jahren ist er bereits Miro Nationale. Und so Kloses Körper denn mitspielt, dürfte er sich an diesem Tag auch in der Arena Fonte Nova in Salvador aufhalten. Ob in der Startelf oder auf der Ersatzbank: Dieser Stürmer ist für die DFB-Elf unverzichtbar. Denn es gibt viele großartige deutsche Angreifer, aber nur noch wenige Weltklasse-Stürmer. Das ist Miro Klose zwar auch nicht mehr, aber er hat noch so seine Momente – wie diese 81. Minute gegen Inter Mailand. Und auf genau diese Momente sollte Joachim Löw nicht verzichten wollen.

Ja, ich kann Miroslav Klose auch sonst ganz gut leiden. Er salbadert nicht umher, arbeitet für seine Mannschaft, hat ein fantastisches Kopfballspiel. Er scheut keinen Zweikampf, besitzt einen tollen Blick für den richtigen Pass, gibt nie auf. Er hätte die WM-Rekorde verdient (noch zwei Tore, noch sieben Spiele), er hat Zwillinge, er ist ein Zimmermann. Doch selbst, wenn er das alles nicht wäre und hätte: Wenn Deutschland im Viertelfinale in der 70. Minute 0:2 zurückliegt, ginge es mir mit einer Klose-Einwechslung gleich viel besser.

Es wird, wenn er denn teilnimmt, die letzte Weltmeisterschaft für Miroslav Klose werden. Es werden schon vor dem ersten Anpfiff zu Recht große Porträts über ihn geschrieben und gesendet werden. Wie allen deutschen Fußballern dieses Jahrhunderts fehlt ihm noch ein Titel, nur wenigen anderen würde ich den mehr gönnen. Doch selbst wenn das nicht klappt: Den einen, finalen Salto muss Miroslav Klose dann doch noch schlagen.

ps: Miroslav Klose sagt: „Ich will keinen Freifahrtschein. Und der Bundestrainer wird auch keinem Spieler einen Freifahrtschein geben. Man muss sich alles selbst erarbeiten wie so viele andere Dinge im Leben.“

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Auf dem Trampelpfad zum Titel:
Carta non grata
Per Mertesacker
Auskatern in Solna

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Musik Sport

Die Entstehung des Langer-Songs:
Roy Keane und der „Saipan Incident“

So ist das mit diesem Internet: Du siehst ein lustiges Video, gugelst ein bisschen und studierst plötzlich die halbe Nacht die Geschichte des irischen Fußballs.

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Ich habe hier neulich den Langer-Song vorgestellt, der zwar vorne so heißt wie ich hinten, aber eigentlich einen – im Dialekt der irischen Stadt Cork Langer genannten – ungehobelten Proll besingt. Und dass es dieses gesellige Liedchen überhaupt gibt, hat einzig mit einem sturköpfigen irischen Fußballer zu tun.

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Es war vor der Fußball-WM 2002 in Japan und Südkorea. Die irische Nationalmannschaft bereitete sich mit einem Trainingscamp auf Saipan, einer Insel mitten im Pazifischen Ozean, auf die klimatischen Bedingungen in Japan vor. Der damalige Mannschaftskapitän: Roy Keane, ein hitzköpfiger Mittelfeldspieler aus Cork.

Roy Keane fand die Bedingungen auf Saipan eines WM-Teilnehmers unwürdig und überhaupt seien der irische Fußballverband und nicht zuletzt Trainer Mick McCarthy eher unprofessionell und inkompetent. Und wie das so die Art von Roy Keane war, hatte er wenig Probleme damit, seine Vorwürfe über die Presse öffentlich zu machen.

Daraufhin stellte ihn der Trainer vor versammelter Mannschaft zur Rede. Doch Roy Keane gab nicht etwa klein bei, sondern entlud seine geschundene Iren-Seele in einem mehrminütigen Monolog, wobei er sich wiederholt ungebührlicher Vokabeln bedient haben soll. Schließlich erklärte Keane, dass er bei der WM nicht für Irland spielen und überhaupt nun abreisen werde.

Roy Keane, Cork LegendFür Irland, dass sich damals erst zum dritten Mal überhaupt für eine WM qualifizieren konnte (und es seither auch nie wieder geschafft hat), war The Saipan Incident (hier der Wikipedia-Eintrag auf Englisch, hier eine umfassende Dokumentation) ein Riesen-Schock und monatelang Stoff für unzählige Kneipen-Diskussionen. Hatte Keane recht mit seiner harschen Kritik oder hatte er sich schlicht wie ein dummer irischer Gossenjunge verhalten?

Man muss dazu sagen, dass Keanes Heimat Cork von dessen Einwohner als wahre Hauptstadt Irlands gesehen und oft für den besonderen Unabhängigkeitswillen der Corkuianer gepriesen wird. Die eine Hälfte der Iren (vor allem viele Dubliner) waren nun sauer auf Roy Keane, weil er sein Team im Stich gelassen hatte. Die andere Hälfte aus der Gegend um Cork war stolz auf ihren Helden, der sich von den Funktionären nicht hatte verbiegen lassen. Die Irish Times schrieb später, dass die meisten Iren mindestens eine Geschichte von Streit in der Familie, zwischen Freunden oder Kollegen kennen – wegen Roy Keane.

Und da nun in Keanes Wutrede auf Saipan desöfteren „you’re a fucking Langer“ in Richtung McCarthy gebrüllt worden sein soll und Roy Keane auch in nachfolgenden Äußerungen alles und jeden gerne mit dem dem Cork-Slang entlehnten Schimpfwort bedacht hat, bekam „Langer“ eine fragwürdige Berühmtheit und inspirierte schließlich Songwriter Tim O’Riordan zum Langer-Song, der 2004 in Irland die am meisten verkaufte Single war.

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Ich weiß zwar noch nicht ganz, wie ich diese Song-Genesis meiner Sippe beim nächsten Familienfest vermitteln kann, aber das wird schon noch. Übrigens bin ich auch gar nicht der Einzige, der über Roy Keane und die Musik schreibt. Auch der geschätzte Trainer Baade hat justament Mister Keanes Verbindung zu Morrissey offengelegt. Roy Keane scheint im fußballkulturell-musikhistorischen Kontext offenbar ’ne Menge herzugeben. Liegt aber bestimmt in der reichhaltigen britischen Stadionsgesangstradition begründet, das Ganze.

So, jetzt ist aber Schluss. Obwohl … einmal kann man ihn ja doch noch mal hören, den Langer-Song, mitsamt seiner zweiten Strophe, die dem Corker Jungen Roy Keane und dem Saipan Incident gewidmet sind:

And our hero Roy Keane
Footballer supreme
The finest this country and Man U’s ever seen.
And we’d have won the World Cup
But Mick McCarthy fouled up.
Roy was dead right to call him a langer!

Foto: Adrian, Acediscovery auf Flickr unter CC-Lizenz by-nc-nd
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Sport

Auf dem Trampelpfad zum Titel – Carta non grata

Mit der Statistik ist das im Fußball ja immer so eine Sache. Aber trotzdem.

Referee

Foto: John Henry Mostyn auf Flickr unter CC-Lizenz by-nc-sa

In den 101 Spielen, die Joachim Löw die deutsche Nationalmannschaft mittlerweile betreut hat, sahen die Männer mit dem Adler auf der Brust 100 Gelbe Karten (Gelb-Rot/Rot = 2 Gelbe). Mein Big-Data-Rechenorakel verrät mir nun: In jedem Spiel seit dem Juli 2006 hat durchschnittlich ein deutscher Nationalmannschaft eine gelbe Karte gezeigt bekommen.

Das ist nicht viel. Im Gegenteil: Das ist sogar sehr wenig. Die aktuelle Kartenstatistik der Bundesliga und 2. Liga zeigt, dass lediglich Dortmund (1,1), Bayern, Wolfsburg (je 1,3) sowie Schalke und der 1. FC Köln (1,4) halbwegs in die Nähe des Löwschen Schnitts kommen. Und hier sind die Gelb-Roten und Roten Karten nicht mal mit eingerechnet.

Auf diesem handelsüblichen Kartenschnitt spielte die DFB-Elf auch in den sechs Spielen nach dem Trainerwechsel 2006 (1,83 Gelbe Karten pro Spiel). Dann sank der Schnitt rapide (2009: 0,63), um sich auf immer noch niedrigem Niveau einzupendeln (2012: 1,07, 2013: 1,36). Es gab Zeiten (2009/2010), da hat die Mannschaft in sechs Spielen eine einzige Karte kassiert.

Ohne die Zahlen vor Löw genau zu kennen, möchte ich behaupten: So wenig gelb war selten. Die Gelbe Karte ist in der aktuellen Spielphilosophie ein unerwünschter Gast, eine Carta non grata quasi. Sie gehört für Löw nicht zum Fußball dazu, sondern ist bei Spielentgleisungen dann eben hinzunehmen. Nägschde Mal müssen wir des anderslösn, gansglar.

Die Nationalmannschaft will den Ball haben und halten und spielen und behalten und damit Tore schießen. Sie will ihn zurückerobern, nicht ihn sich erkämpfen müssen. Dräut am Horizont ein Zweikampf herauf, ist ein kluges Abspiel die erstbeste Option. Das Duell Mann gegen Mann ist potenziell gelbgefährdet und überhaupt risikobehaftet – schließlich könnte der Ball verloren gehen – und von daher zunächst mal die schlechtere Option.

Wie oft saß ich vor dem Bildschirm und habe spieleuphorisiert den ballführenden Germanen angefeuert: „Jau! Und los jetzt! MACH! IHN!! NACKISCH!!!“ Und dann sank ich desillusioniert zurück, weil der Systemspieler den taktisch wertvollen Flachschnellpass wählte. Kein Zweikampf, keine Karthasis, keine Gelbe Karte. Aber ja eben auch: kein Ballverlust.

Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum das moderne 80-Prozent-Ballbesitz-Passfußballspiel manchmal von auch ansonsten durchaus besonnen daherkommenden Menschen einfach nur gehasst wird: Weil diese verfluchten Tikitakerianer einem verdammt nochmal das Meersalz in der Suppe vorenthalten. Die Zweikämpfe. Die dann ab und an zu Fouls und Gelben Karten führen.

So weit, so gut, so nachvollziehbar. In Löws Zeit (101 Spiele) hat die deutsche Mannschaft allerdings ganze 16 Spiele mehr Gelbe Karten als der Gegner erhalten. In jedem sechsten Spiel nur. In keinem der drei wichtigen Spiele der Löwschen Ära (2008 gegen Spanien, 2010 gegen Spanien, 2012 gegen Italien) hat die Mannschaft öfter gelb gesehen als der Gegner.

Und jetzt nochmal zum Anfang: Mit der Statistik ist das im Fußball ja immer so eine Sache. Was bedeuten schon Gelbe Karten? Was bedeuten Durchschnitte, in denen auch Gurkenspiele zählen und Fehlentscheidungen? Was bedeutet eine Gelbe Karte mehr als der Gegner, wenn der nunmal öfter ins Tor trifft? Ja, genau: Im Zweifel jarnüscht.

Aber trotzdem. Sind wir uns einig, dass wir in diversen Spielen von Bedeutung zu ganz bestimmten Momenten Spielaktionen bei den Deutschen vermisst haben, die – wenn es doof läuft – auch zu einer Gelben Karten – Ihgittigitt! – hätten führen können? Wurden diese Aktionen vermieden, weil Gelbe Karten böse und unter jeden Umständen zu vermeiden sind? Sitzt das Löwsche Taktikkorsett zu eng, wenn es mal eng wird? Hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu viel Angst vor Gelben Karten?

Und ich meine damit nicht bösartige Fouls, Schwalben oder alberne Nicklichkeiten. Ich meine ehrliche Zweikämpfe, die mit aller Vehemenz geführt werden, weil da jemand der Meinung ist, jetzt müsste aber mal ein ehrlicher Zweikampf geführt werden. Nicht das ganze Spiel lang, aber manchmal. Und ich schreibe bewusst auch nicht von einem wie auch immer gearteten Klopper vom Dienst, der mal eben Leader spielt, die Fresse aufreißt und in der Gegend umherholzt.

Na ja. Dünnes Eis, ich weiß. Die Mannschaft ist neben Spanien die erfolgreichste Nationalelf der Welt und spielt einen großartigen Fußball. Ihr fehlt ein Titel, aber es gibt Schlimmeres. Ich fände es aber gut, bekäme sie in einem „Spiel um alles“ mal mehr Gelbe als der Gegner – und schösse dann mehr Tore. Das wäre schön.

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Sport

Auf dem Trampelpfad zum Titel –
Per Mertesacker

mertesacker

Foto: Daniel Zimmel auf Flickr unter CC-Lizenz by-nc-sa

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat ein Problem mit ihrer Abwehr. Das weiß, wer nicht das vergangene Jahrzehnt total ballabstinent verlebt hat. Niemand fand das doof, weil der DFB plötzlich Tore schoss und – jahaa! – schönen Fußball spielte. Dann merkten alle, dass für so ein Weltfußballtitel eine gute Abwehr doch ganz nützlich sein könnte.

Per Mertesacker spielt seit neun Jahren in der DFB-Defensive. Er ist der Größte, der jemals den Adler auf seiner Brust trug. Und heute Abend habe ich ihn beim Champions-League-Spiel gegen Borussia Dortmund beobachtet.

5. Mertesacker klärt im Fünfmeterraum vor Lewandowski.
9. Aus der Bedrängnis gelingt dem Per eine großartige Spieleröffnung mit einem nicht ungefährlichen halbhohen und -langen Pass in die Mitte – genau auf den Fuß des Mitspielers.
11. Eckball Arsenal. Die Gefahr ist da, wo Merte ist, auch wenn der Ball meterweit an ihm vorbeifliegt.
17. Subotic zielt knapp neben das Tor nach einer Ecke. Sein direkter Gegenspieler: Per Mertesacker. Der traute sich nicht recht, beherzt zum Ball zu gehen. Angst vor einem Foul?
19. Arsenal mit Schwierigkeiten beim Spielaufbau. Merte an der eigenen Eckfahne, ein mittelriskanter Pass zum Torwart, aber: Problem souverän gelöst.
21. Wenn Mertesacker sich mal bis zum Mittelkreis traut, dann hastet er zu einem Eckball oder erstickt – wie jetzt – taktisch nicht unklug einen potenziellen Konter.
30. Mertesacker überquert den Platz, denn es gibt Freistoß für Arsenal. Der Freistoß versackt, und Mertesacker rennt wieder zurück. Es ist dies das Los eines kopfballstarken Verteidigers.
31. Der rasende Reus eilt mit Ball am Fuß gen Arsenal-Strafraum. Dort steht ein Mertesacker, der zum richtigen Zeitpunkt an genau der richtigen Stelle den Fuß herausstreckt und damit die Situation sofort entschärft.
35. Merte steht bei einer Blaszykowski-Flanke silberrichtig und haut ein halbes Luftloch. Lewandowski war jedoch aus reinem Respekt längst auf Abstand geblieben, der Ball trudelt aus.
37. Bei einem Konter gerät Arsenals Abwehr in Unterzahl. Mertesacker stößt einen traditionellen Hannoveraner Fluch aus, und prompt vergibt Mchitarjan aus 1-a-Einschussposition.

Überhaupt kann ich, glaube ich, gar nichts Schlechtes schreiben über so ein Tanz-Talent. Erstmals staunte ich über Per Mertesacker allerdings, als er bei der WM 2006 gefühlt alle Zweikämpfe gewann und niemals Foul spielte. Man sieht Mertesacker selten unlässig. Behäbig, ja, ungelenk manchmal. Aber immer: lässig. Unhektisch. Beruhigend. In bestimmten Spielsituationen können das genau die notwendigen Charaktereigenschaften sein.

48. Merte lässte eine nicht mal sonderlich harmlose Flanke mit Absicht durch. Er sieht, dass kein Gelber lauert und sein Torwart den Ball bekommen wird.
50. Foul von Mertesacker nach einem Zweikampf mit Marco Reus. Allein: Es war keines. Kein bisschen. Merte hat den Ball abgewehrt und nix weiter. Aber: Kein Murren, kein Maulen.
52. Tor für Dortmund. Merte bleibt cool, ein klares Abseits.
62. Arsenal geht 1:0 in Führung. Per Mertesacker weiß, dass ihn eine aufregende Schlussphase erwartet.
64. Und da geht’s schon los: Beim ersten Duell kann er Lewandowskis Flanke abwehren, die zweite muss Merte durchlassen, weil: zu langsam. Das bleibt allerdings folgenlos.
66. Merte segelt im Fünfmeterraum Zentimeter am 2:0 vorbei. Dafür fehlt er hinten, dort muss der Mesut für den Per aushelfen.
70. Eckball Arsenal. Mertesacker springt gar nicht richtig, streckt sich nur mal so mit Schwung nach oben, und sein Kopfball geht knapp drüber.
79. Merte mault, weil Weidenfeller den Ball verfehlt und stattdessen Mitspieler Koscielny umrammelt.
82. Per Mertesacker köpft den Ball aus der Gefahrenzone – exakt auf den Fuß eines 25 Meter entfernten Mitspielers. Man kann so etwas gar nicht oft genug schreiben. Arsenals Passgenauigkeit von 75 Prozent ist mindestens auch Mertesackers Passgenauigkeit.
94. Zweikampf im Strafraum: Lewandowski versucht einen Rückseitfallzieher, Mertesacker hat ihm dabei väterlich die Hand auf die Schulter gelegt. Kein Tor, kein Foul. Arsenal gewinnt. Und Per Mertesacker hat nach dem Trikottausch ein viel zu kurzes BVB-Shirt an.

Ob er einer der zwei besten deutschen Innenverteidiger ist, wissen die Menschen, die dafür bezahlt werden. Dass Per Mertesacker dem DFB-Team helfen kann, nächstes Jahr Weltmeister zu werden – davon bin ich überzeugt.

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Der Trampelpfad zum Titel: Auskatern in Solna

dfbsw2Bastian Schweinsteiger spielt sein 100. Spiel für die Nationalmannschaft. Philipp Lahm ist 29 Jahre alt. Miroslav Klose hat sich mittlerweile in Gerd Müller verwandelt. Und Joachim Löws Fehler finden immer öfter den Weg an die Stammtische.

Es ist ihre letzte Chance.

Ich schreibe das, während André Schürrle das 4:2 gegen resignierte Schweden ins Tor hineinläuft. Es ist nicht des DFB letzte Chance auf den WM-Titel, das hat man deutlich gesehen. Klose war gar nicht da, Schweinsteiger irgendwie auch nicht, und Lahm konnte aufgrund seiner Aufstellung nun mal nicht von links in die Mitte ziehen und dann ins lange Eck schlenzen.

Nein, die Torschützen und Aktivposten waren die Jüngeren: Özil, Kroos, Boateng, Schürrle, Götze. Diese Jungs haben noch ein paar große Turniere vor sich, so viel steht fest. Aber die Bande, die seit einem knappen Jahrzehnt den deutschen Fußball geprägt hat, dürfte im nächsten Jahr ganz besonders gewinnen wollen.

Auch Lukas Podolski und Mario Gomez zählen noch dazu. Doch Podolski wirkt neben Reus und Schürrle momentan ganz weit weg von der Startenden Elf, Gomez fehlte stets die Emotions-Bande, die ihn mit der Fußballrepublik Deutschland verband.

Und Joachim Löw? Der muss schon mit einem ganz fett gespielten Turnier im Rucksack wieder zurückkehren, um ohne den Titel weiter Bundestrainer zu bleiben. Aber egal, denn das wird nicht passieren. Ich glaube fest daran, dass Deutschland im kommenden Jahr Fußballweltmeister wird.

Heute Abend hat die Mannschaft ihren Weg begonnen. Es war ein neckisches Spielchen, wahrscheinlich hätte es am Ende 7:7 gestanden, hätte Zlatan Ibrahimovic auch nur eine Halbzeit mit rangedurft. So hatten die Weißen am Ende zwei Tore mehr geschossen, und darum geht es ja schließlich.

Die Szene des Abends war für mich die Geste eines Schweden, der kurz vor dem Götze-Tor angesichts des deutschen Kurzpassspiels hilflos die Arme hebt, als suche er Orientierung in einem für ihn vollkommen chaotischen Raum. Deutschland gewann 5:3, und dabei waren es nur die ersten Schritte.

Auf dem Trampelpfad zum Titel.

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Ja. Das war schön.

Es ist ein klein wenig doof, das erst jetzt aufzuschreiben, jetzt, wo Helmut Haller gestern gestorben ist. Aber ich hatte nach diesem Termin in der Justizvollzugsanstalt Waldeck bei Rostock vor sechs Jahren nichts mehr gehört von Helmut Haller, ich wusste nicht, dass er an Demenz erkrankt war.
73 Jahre sind zu früh.

Elegant war er angezogen, etwas zu elegant für diesen Anlass. „Anstoß für ein neues Leben“ heißt das Resozialisierungsprojekt der Sepp-Herberger-Stiftung, für die Haller an die Küste gekommen war. Mit dunklem Anzug und offenem Kragen am schwarzen Hemd stach der Vizeweltmeister von 1966 die versammelte regionale VIPschaft in den Kategorien Mode und Coolness locker aus; mit seiner Art sowieso. Haller plauderte und hörte doch zu, er beobachtete und war doch immer mittendrin, selten, dass der beflissene Staatssekretär von seiner Seite wich. Er ließ es sich nicht nehmen, nach dem Ehrenanstoß den Ball kurz noch ein wenig zu jonglieren und vermied beim Smallltalk mit den Gefangenen doch – im Gegensatz zur Anstaltsleitung – das ganze Turnier über den peinlich-kumpeligen Stammtischfußballjargon.

So ein strengjovial auf den Ascheplatz gerufenes „Aber Blutgrätsche is heute nicht, hört ihr!?!“ hätte wohl auch nicht zu Helmut Haller gepasst.

Helmut Haller war von den einleitenden Worten der Verantwortlichen über den Resozialisierungsvortrag des Sekretärs, den Anstaltsrundgang, die Autogrammviertelstunde, den Ehrenanstoß bis hin zur Pokalübergabe dabei. Es waren einige Stunden, und ich habe ihn immer leicht lächeln gesehen, er war immer freundlich und nie scheißfreundlich, die Fußballlegende wirkte neben dem dürren Glatzkopf (zwei Jahre wegen Raubüberfall) fast ein wenig schüchtern. In einem kurzen Gespräch mit den Insassen habe ich sie gefragt, was sie denn von Helmut Haller halten würden und ich glaube bemerkt zu haben, dass sie versuchten, ihre Worte ein bisschen sorgfältiger auszuwählen als sonst an diesem Tag.

Der Fußballer hatte sich im Gefängnis Respekt verschafft.

Vor dem Finale bekam ich die Gelegenheit, mich mit Helmut Haller direkt am Spielfeldrand ein wenig zu unterhalten. Und wie das so ist, ich habe die Chance nicht gut genutzt, ich tüftelte zu lange über meinen Fragen, bekam ein paar Statements für den Bericht, probierte mich vorsichtig in gehobenem Smalltalk. Kein Pressesprecher weit und breit, die Sonne schien, der Mann freute sich, in Ruhe Fußball sehen zu können, und ich kam nicht so recht über das „Was bedeutet es Ihnen, hier zu sein?“-Niveau hinaus.

Nun ja. Wenigstens habe ich ihn nicht nach 1966 gefragt.

Schließlich das Finale, der Abpfiff. Helmut Haller atmet tief durch und sagt: „Ja. Das war schön.“ Dann steht er auf und geht zur Siegerehrung.

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Dortmund gegen Bremen – Zeitnahe Betrachtungen zum Bundesliga-Auftakt

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Eine Fußballgeschichte mit sehr viel Liebe

Pünktlich zum Start der Europameisterschaft die nächste Kurzgeschichte von Charlotte. Anlässlich des heutigen Geburtstags ihres Bruders verfasste sie eine fußballgeprägte Lovestory, die nach Hund und Schildkröte nun erstmals ganz ohne Tiere auskommt, dafür aber die gaaanz großen Gefühle anspricht.

Die Jungen und Mädchen aus Benns Klasse spielen Fußball. Es giebt nur ein einziges Mädchen in Benns Mannschaft. Sie heist Elena und ist vast so alt wie Benn. Sie ist vast ein bischen besser in Fußball.

Und wenn Benn erlich ist, ist er vieleicht ein bischen in sie verlibt. Aber jedst darf Benn nicht treumen, denn Elena past zu ihm. Er spield wider zurück zu Elena und die schist das endscheidende Tor. Tor schreid die ganze Mannschaft, Tor!

Es sted 2:3. Für Benns Mannschaft die letzte Spilminute, schaffen sie auch noch erfolgreich. Sie haben gewonnen! Plödzlich kommt der Torwart auf Benn zu und schubst ihn. Aua schreit Benn, was für eine Unverschemtheit, jetst schreit auch die ganze Mannschaft.

Da kommt Elena angerand. Sie hilft ihm noch, dann gehen sie zu einem Aufsichtslehrer. Der Junge, der übrings Axel hies, kriegt eine Woche Hausarest. „Danke“, stamelt Benn. „Bitte“, sagt Elena. Zuhause schreibt Benn alles in sein Tagebuch, und die besten Zeilen liest er euch jetzt vor:

Vieleicht war es ja auch ein Glücksvall, vieleicht mag Elena Benn ja auch, aber das weißer nicht. Aber das ist ihm auch egal, er glaubt natürlich vest daran.