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Meer

Dieser Text ist Teil der Blogparade „Mein Text zum Meer“, die jüngst auf dem Jazzblog gestartet wurde. Und da es Texte zum Meer ja gar nicht genug geben kann: Macht mit und schreibt doch auch einen! Und vier Jahre später sind diese Zeilen außerdem stolzer Teilnehmer des #SepteMeer.

Ostseeblick

Das war am Wochenende schon kein Nebel mehr, aber auch noch kein Regen. Auch Niesel trifft’s nicht, eher noch könnte man es mit „der Himmel hatte gerade einen kräftigen Schluck Wasser genommen und musste wegen eines guten Witzes plötzlich alles auf einmal rausprusten“ adäquat beschreiben. Dazu achteinhalb Grad Celsius und die Weltfarbe grau.

Es ist das perfekte Wetter, um sich mal wieder alte Bilder anzusehen.

Und wie ich so durch die Ordner stromere, fällt mir ein Motiv auf, das sich jedes Jahr wiederholt. Und zwar ausnahmslos. Meist gehört das Bild nicht zu den aufregendsten, es beruhigt durch Reduktion aufs Wesentliche und den Mangel an Bewegung, Leben, Gesichtern.

Es zeigt einen Menschen vor der Ostsee. Man sieht nur seinen Rücken, ab und zu verweht ein deftiger Seitenwind seine Frisur. Er hat die Hände in den Taschen (wenn er denn Hosen mit Taschen anhat) oder vor der Brust verschränkt oder in die Hüfte gestemmt oder lässig seitlich baumeln. Er steht da ganz ruhig, wahrscheinlich verharrt er für einige Momente.

Dieser Mensch braucht jetzt gerade gar nichts anderes, nur sich und frische Luft und das Meer. Die uralte Frage, ob der regelmäßige Wellenschlag seine Füße erreichen wird, ist ihm genug an Spannung; die ab und zu durch seinen Blick segelnden Möwen oder schippernden Boote reichen ihm an Aktion. Denn er muss demütig einsehen, dass er der Mensch ist und das da vor ihm das Meer.

Das Riesenwasser füllt den halben Horizont aus, er kümmerliche zwei Fußstapfen. Das Wasser hat alles, was er kennt, hervorgebracht, er hat bisher ein bisschen gebaut, gezeugt, gepflanzt, geschrieben. Noch in Tausend Jahren wird das Meer hier sein, er dagegen muss nachher gleich los, Abendbrot essen. Und irgendwann ist er ganz weg.

Dieser Mensch auf den Bildern ist manchmal ein Kind oder zwei oder drei, mal ist es eine Frau, mal ein Mann. Mal ist es Winter, mal Sommer, mal früh, mal spät. Immer aber ist es das gleiche Motiv: Ein Mensch schaut aufs Meer. Die Fotos sind nicht inszeniert, niemals hat der Knipser gesagt: „Ey, los jetzt, ab ans Ufer, Augen aufs Meer, und dann stillgestanden!“ Irgendwann an diesem Tag am Meer steht plötzlich jemand allein am Ufer und glotzt in die Gischt und hält inne und atmet ganz tief durch.

Und es ist nichts anderes, als es der Mensch mit seinem Auto an Tankstellen macht: Er kommt da hin, bezahlt mit ein wenig Lebenszeit und bekommt Meeresmomente.

Einmal voll, bitte! Und den Kanister auch gleich noch.