Kategorien
Blog

Opposition, Revolution – Hauptsache: dagegen!

Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Das fing schon an, als er in der dritten Klasse nicht so weit vorne und also lehrernah sitzen wollte. Er maulte so lange herum, bis er endlich in die letzte Reihe durfte und schließlich bis zum Abitur dort sitzen blieb. Das führte dazu, dass die gesamte Klasse irgendwann bei allen auch nur halbwegs konfliktträchtigen Themen automatisch irgendwann den Kopf nach hinten drehte, um zu registrieren, dass Dennis Martin Heideggg dagegen war.

Denn Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Klassenfahrt nach England? Und alle so: Yeah! Aber Dennis Martin Heidegg so: Och, nöö … Selten, dass er etwas wirklich vehement und leidenschaftlich ablehnte. Kaum, dass er seinen Widerstand begründete oder gar Alternativen anregte. Er war dagegen und freute sich über die Irritationen, die er noch lange bei weniger bewanderten Lehrkräften oder zartbesaiteten Mitschülerinnen hervorrief.

Weil: Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Stets überlegen lächelnd, wenn er sein „Nein“ kundtat, stets mit der rebellischen Attitüde eines Jahrhundert-Revolutionärs, stets mit der Überlegenheit eines Menschen, der glaubt, Dinge besser als alle anderen zu durchschauen und stringent seine Konsequenzen aus obskurien Exklusiv-Informationen ziehen zu können. Ein toller Typ, dieser Dennis. Er rauchte früh, fehlten noch Lederjacke, Sport-Cabrio und schneller Tod fürs Legendendasein.

Aber Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Wenn man mal unter vier Augen mit ihm redete, zeigte sich das Bild eines intelligenten, mitfühlenden, differenzierten Menschenwesens. Doch stets, wenn irgendeine Art von Öffentlichkeit zugegen war, verschwand dieser private Dennis Martin Heidegg. Dann war er der Kritiker, der wider den Stachel löckte – und allein diese Formulierung ist so gestrig wie traurig und dennoch so zutreffend für den einzig wahren Durchblicker aus dem Jahrgang 1995.

Heute hat er wohl seinen Frieden gefunden, weit weg von hier. Ich hoffe es, denn ich mochte Dennis Martin Heidegg sehr, weil er nie aggressiv intervenierte, sondern immer mit einem lausbübischem Lächeln seine nicht selten lächerlichen Einwände vortrug. Er gab sich manchmal gar nicht sonderlich Mühe, seinen Protest mit irgendetwas zu untermauern. Komm schon, scheiß drauf! Fick das System, Alter! Ich bin dagegen, vastehste! Und du kannst nichts, aber auch gar nichts dagegen tun!

In der letzten Zeit habe ich öfter mal an Dennis Martin Heidegg denken müssen. An das Geschäftsprinzip „dagegen sein“. Ich habe so manches Mal fast meinen Kopf gedreht, um halb genervt, halb amüsiert dem renitenten Dennis in die Augen zu schauen und ihn zu fragen: „Im Ernst? Haben wir für solch einen Quatsch gerade wirklich alle Zeit und Lust? Und was soll eigentlich später mal auf Deinem Grabstein stehen? ,Ich war stets dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip.‘ Echt jetzt? Na dann …“

Kategorien
Sport

Ein kleines Lob auf Tischtennis

tafeltennistafel

Na klar hatte Gunnar Lust. Nach dem Mittagessen Schuhe an, Kelle und Ball geschnappt, rauf auf die Fahrräder, die zwei der drei Fahrradständer vor der Birkenstraße 2 belegten. Dann die Kirschenallee entlang, kurz rechts schauen, an der Kaufhalle vorbei, und schon waren wir da. Zwei Kumpels, die ihre Freizeit mit Tischtennisspielen verbrachten. Manchmal nicht alleine, dann ging’s stundenlang chinesisch um Gewinnpunkte. Manchmal dann aber eben im Eins-gegen-eins, genauso stundenlang, bis einen – und das möchte etwas heißen – die Lust am schnellsten Rückschlagspiel der Welt verließ. Immer aber mit einer Faszination, die bis heute nicht nachgelassen hat.

Na klar hatte Charlotte Lust. Flip-Flops an, Kelle und Ball an der All-Inclusive-Bar geholt, hoch von den Poolliegen, ab an die Platte. Es dauerte nicht lange, und ein paar gelangweilte All-Inclusive-Kinder kamen herbei, um den flinken Hin und Her zuzusehen. Charlotte spielte gut, rückhand meist, druckvoll, variabel, immer mit großer Bewegungshingabe. Später kamen Luise und Heinrich hinzu und battelten sich gegenseitig lustvoll nieder. Ich bin ja der Meinung, zu einer guten Erziehung gehört ja immer auch das Beibringen von Tischtennis-Basics. Wir spielen immer mal wieder, meist ohne Punkte, aus purer Freude am kunstvollen Hinundhertänzeln und am Spiel mit dem Balle.

Na klar hatte sie Lust. So sehr lange kannten wir uns zwar noch nicht, und doch schon war ich mir relativ sicher mit ihr. Denn: Wir spielten zusammen Tischtennis. Kann ja kaum schiefgehen. Zunächst verzichtete ich etwas überheblich aufs Schmettern, um ein Spiel zu ermöglichen. Dachte ich zumindest. Dann merkte ich, dass ich die schmetterlosen Ballwechsel ziemlich oft verlor und bei ihr rapide an Tischtennis-Respekt verlor. Und das durfte auf gar keinen Fall sein. Also volle Pulle gespielt und mit Ach und Krach ein Unentschieden erschmettert. Sie war gut, kühl wie Nord- und Südpol gleichzeitig, und sie machte verdammtnochmal keine Fehler. Ein Rasseweib!

Na klar hatte ich Lust. Immerhin war ich im Urlaub irgendwo in der hessischen Provinz, und außer einem tollem Gästehaus und vielen lieben Leuten drumherum gab es da nicht so sehr viel. Doch in einem der vielen Zimmer stand eine Tischtennisplatte. Mit genügend Auslaufplatz davor und dahinter. Mit einigen abgerockten Schlägern und ausreichend Bällen, um auch mal aus Versehen auf einen draufzutreten. Ich spielte fast jeden Tag, irgendjemand fand sich schon als Gegner. Und was heißt Gegner, es ging um Bewegung, Technik, ein bisschen Rumschnippeln, Rumposen, Rumbrüllen, ab und zu Draufkloppen. Dazu Musik, nicht mal leise, und gegen Abend hin und wieder geistreiche Getränke.

Wo man spielet, lass dich ruhig nieder. Ohne Furcht, was man im Lande glaubt. Wo man spielet, wird kein Mensch beraubt. Bösewichter sind keine Spieler.

Und wenn ihr auch gerade irgendwo seid und Tischtennis spielen wollt und nicht wisst, wo die nächste öffentlich zugängliche Platte steht, dann schaut doch einfach mal in der Pingpongmap nach.

Foto: Screenpunk via Flickr

Kategorien
sl. Sport

Als Hansa gegen Barca spielte und das Stadion nur zu einem Drittel voll war

1991_hansa_barca^

An jenem Tag vor 26 Jahren, an dem Barcelona an die Ostsee kam, sah ich nicht nur mein erstes Europapokalspiel, sondern lernte auch etwas über die Marktwirtschaft.

Erste Runde im 37. und letzten Wettbewerb der europäischen Landesmeister, der letzte DDR-Meister Hansa Rostock wird Barca zugelost. Im Camp Nou verliert Hansa klar mit 0:3, das sportliche Interesse am Rückspiel gegen den späteren Pokalsieger hält sich also in Grenzen. Zubizarreta, Guardiola, Koeman, Eusebio, Stoitschkow und Laudrup würden das schon schaukeln, da waren sich alle einig. Aber dennoch: BARCELONA! Es war 1991, die deutsche Einheit war 364 Tage alt, und alles, was damit zusammenhing, war noch so neu und aufregend und bunt und laut und duftend und unbedingt erstrebenswert – erst recht, wenn man 14 Jahre alt war und durch eine verdammt glückliche Fügung der Geschichte eine Eintrittskarte für dieses Spiel angeboten bekam.

So lief also ein aufgeregter Teenager am 2. Oktober 1991 mit einer guten Freundin seiner Mutter (Danke nochmal, Sylvie!) durchs Rostocker Hansaviertel, um den Freund der Freundin zu treffen. Der Mann, der gute Verbindungen zu Hansa hatte, wartete schon ungeduldig auf den Treppen irgendeines riesigen konspirativen Gebäudes, um hastig die Bekannte zu drücken und uns die Karten zu geben. Plötzlich direkt auf dem Grat zwischen Halblegalität und Klüngelwirtschaft wandernd bedankte ich mich artig und wollte gerne noch etwas sagen zu diesem unglaublichen Wahnsinn, den das ganze Land in diesen Zeiten ja gerne immer wieder gesondert betonte und der es machte, dass ein spanischer Weltverein gleich vor meinen Augen Fußball spielen würde und der auch dafür verantwortlich zeichnen dürfte, dass gerade ich dieses Ticket zu allem Überfluss auch noch geschenkt bekam und dass … aber da war der Mann dann auch schon wieder weg.

Und ich sah mir die Karte genauer an und bekam einen Schreck. „60 DM“. Sechzig! WESTMARK!!! Und ich hatte das eben gerade geschenkt bekommen. Erst lange Zeit später habe ich eine Verbindung herstellen können zwischen dem Preisschock, den ich auf dem Weg ins Ostseestadion erst mal langsam verdauen musste und dem Bild, das sich mir schließlich im Stadion bot. Wo waren all die Leute hin? Na klar doch, dachte ich erst, bis zum Anpfiff sind die alle wieder … aber nein, da kamen keine mehr: Das damals 25.000 Zuschauer fassende Ostseestadion war nur spärlich gefüllt. „Hey, freust du dich gar nicht?“, fragte die Freundin, und ich behalf mir mit irgendeiner halben Notlüge, denn natürlich freute ich mich, so wie sich ein Norddeutscher eben gerade so zu freuen vermag; aber sah sie denn nicht diese Unwucht, dieses surreal nicht mal halbvolle Stadion, wenn Hansa Rostock im Europapokal gegen Barcelona spielt?

Es war eine ganz einfache Rechnung. Preise von 40 bis 100 D-Mark (üblich waren hier sonst 15 bis 40) hielten die Menschen in und um Rostock davon ab, sich dieses Fußballspiel – das zumal vom ZDF live übertragen wurde – vor Ort im Stadion anzusehen. Seit der Währungsunion waren erst einige Monate ins Land gegangen, die Menschen hatten Autos, Küchen, Reisen und Fernseher gekauft, und schließlich war nicht mehr so sehr viel übrig für ein sportlich nahezu aussichtsloses Erstrundenrückspiel im Fußball-Europapokal. Am Spieltag machte die Vereinsführung zwar noch eine Rolle rückwärts und bot die Tickets um die Hälfte billiger an, aber da war es schon zu spät: Das bis heute sportlich größte Heimspiel der Vereinsgeschichte des FC Hansa Rostock fand vor gerade mal 8500 und also 400 Zuschauern weniger statt als die jüngste Drittligapartie gegen den VfR Aalen (1:0).

Das Spiel selbst war ein großer Spaß, die Rostocker mit Olaf Bodden, Juri Schlünz, Jens Wahl und Florian Weichert machten von den typischen Oberliga-Fußball-Fanfaren und „Ich bin stolz, ein ,Ossi‘ zu sein“-Transparenten unterstützt ordentlich Dampf und gewannen schließlich durch einen formidablen Flugkopfball von Uwe Spies verdient mit 1:0. Die von Johan Cruyff trainierten Katalanen kickten noch den 1. FC Kaiserslautern aus dem Wettbewerb und gewann schließlich das Finale gegen Sampdoria Genua. Hansa hingegen spielte eine legendäre erste Bundesliga-Saison und stieg am Ende nichtsdestotrotz in die 2. Liga ab. Und dieses Video hier zeigt nicht nur das komplette Spiel mitsamt dem sonoren Kommentar von Günter-Peter Ploog, sondern auch ein Fernsehfußballspiel ohne Dauereinblendung von Teams und Spielzeit, mit Hansa-Trainer Uwe Reinders featuring New-Yorker-Basecap sowie unfassbar unkleidsamen Barca-Auswärtstrikots.

Kategorien
Musik

The Prodigy, die „Arena“ in Berlin und viel zu viele Nudeln

The Fat of the Land

Er hätte nicht so viele Nudeln essen sollen, resümierte er, als er an einem Pfeiler mitten in der „Arena“ sitzend wieder zu sich kam. Ihm fehlten ein paar Minuten, der Magen rumorte, und er hatte ein wenig Angst, dass ihm jemand im Ravepunk-Überschwang schlicht auf den ohnehin schon schmerzenden Kopf springen würde. Er schaute kurz auf die Uhr, konnte im Stroboskopgewitter allerdings nichts erkennen. War das hier schon die Zugabe?

Er hatte einen langen Tag an der Uni gehabt: Zwei Seminare, dazu Volleyball und Badminton und die Fahrerei durch die halbe Stadt von einem Campus zum anderen. Zeit fürs Mittagessen war irgendwie nicht übrig geblieben; und so war er mehr als dankbar, dass es bei Olli am Kotti neben ein paar kühlen Fläschbier auch noch äußerst bissfeste Nudeln in Kompaniemengen mitsamt einer merkwürdig scharfen Soße gab. Zur Verdauung reichte man einen Kurzen, ein Tütchen und ein paar Partien Dart, und ab ging es zu Fuß Richtung Treptow.

Der Novemberabend war diesig, die Stimmung in der halbdutzendgroßen Gruppe Sportstudenten riesig. Also hatte er natürlich auch nix gegen das Dosen-Mixgetränk, das ein etwas Betuchterer beim Warten im Halbdunkel des Eingangs ausgab: Prost! Noch ein letzter Blick auf die gemütlich auf der Spree schaukelnden Hoppetosse, dann flugs hinein in die Breakbeathölle.

Dass die Akustik in der Halle eine legendär beschissene ist, war entgegen ersten Befürchtungen gar nicht mal so schlimm. Denn The Prodigy machten dieses eklatante Manko durch schiere Lautstärke mehr als wett. BASS, BASS, WIR HATTEN BASS! Kaum Deko, viel Strobo, und Tausende Menschen aus allen Himmels- und Szenerichtungen, die mit den ersten Takten vom Meilenstein-Album „The Fat of the Land“ ausnahmslos und kollektiv in den „Ich will jetzt und hier aus mir herausgehen, aber dieses Mal so richtig, ey!“-Modus wechselten.

Er freute sich einerseits sehr darüber, hatte er The Prodigy doch schon seit „Everybody is in the Place“ und dem Über-Break-Konzeptalbum „Music for the Jilted Generation“ ob der famosen Verbindung von Melodie und Rhythmus in sein kleines Raverherzchen geschlossen. Andererseits hatte er wirklich sehr viele Nudeln gegessen und dazu recht willkürlich getrunken und geraucht. In der Summe mit dem ausdauerndem – er war schließlich ein Jünger der Sportwissenschaften und hatte keinen Ruf zu verlieren – Auf- und Niederhüpfen sowie dem permanenten Hinausschreien seiner Endorphine meldete sich irgendwann im zweiten Drittel des Konzerts das aufgebrachte Nudelrudel.

Er hätte nicht gedacht, dass es schließlich so schnell gehen würde. Zum Glück fand er fix eine geeignete Ablademöglichkeit in der Halle; und die Abwesenheit von lichtsensiblen Smartphone-Kameras und Sozialen Medien im Jahr 1997 verhinderte, dass er am nächsten Morgen verkatert und ängstlich über die Wahrscheinlichkeit nachgedacht hat, armselig in eine Mülltonne kotzend als Party-Sharepic-Meme bereits in alle Welt hinausgeteilt worden zu sein.

Am Pfeiler kauernd fand er nun zu sich und alsbald sogar einen Vorteil in seiner Situation: Die Tanzmasse von etwas außerhalb und schräg unten zu beobachten war mindestens genau so faszinierend wie mittendrin stehend; und der BASS, BASS, WIR HATTEN BASS fühlte sich im Kellergeschoss gleich noch um einige Stufen deeper an. So stieß er irgendwann auch wieder zu den anderen, deren Mienen – ebenso wie seine eigene vermutlich auch – vom entrückt-und-beglückt-Sein kündeten. Und in diesem Augenblick fand wohl auch der manische Zwang seinen Anfang, der ihn bei jedem Hören von nur ein paar Takten eines Tracks von „The Fat of the Land“ automatisch den „BASS“- und „VOLUME“-Knopp anner Anlage gen Osten drehen lässt.

+ + +

Wenn 2010 jemand wissen will, wie Popmusik im Jahr 1997 geklungen hat, sollte er besser zu „The Fat Of The Land“ denn zu „Pop“ von „U 2“ greifen. Das ist auch heute schon die richtige Entscheidung.

Das schrieb der Spiegel 1997 über „The Fat of the Land“. Und heute möchten er und ich gerne 2010 durch 2017 ersetzen.

+ + +

Und auch das Kraftfuttermischwerk war damals offensichtlich dabei.

+ + +

Kategorien
Medien Musik

Techniktagebuch aus dem Jahr 1999: Der Kassettenadapter

Dieser Text entstand vor allem für das großartige Techniktagebuch. Dort schreiben viele Menschen, die sich ab und an über das ganze Gedöns mit Knöpfchen, Reglern und Schaltern wundern, alles auf, was im Moment vielleicht langweilig sein mag. „Aber in zwanzig Jahren …“
Gut, dass es das gibt.
(Und der Text geht da ein bisschen anders.)

Wenn ich meine Kinder erstaunen möchte, was mit ihrem (und meinem) Alter zunehmend schwieriger wird, hole ich ein Technik-Ding aus einer Kiste von Technik-Dingen, die ich eigentlich mal wegschmeißen müsste. Neulich war es dieser Kassettenadapter:

Kassettenadapter

Papa, was ist das? Sieht aus wie eine Kassette (ja, habe ich ihnen schon beigebracht, gezeigt und vorgeführt), hat aber noch ein Kabel nebst Stecker dran. Wozu?

Weil, liebe Kinder, früher die Autos Kassettenabspielgeräte statt eines Bluetooth-Sensors oder USB-Eingangs hatten. Und in der Zeit, wo dann die CDs modern wurden, die Autos aber noch keine CD-Player besaßen, war dies die goldene Lösung. Man musste einen tragbaren CD-Spieler kaufen, diesen mit dem Kabel des Kassettenadapters verbinden und jenen ins Kassettenfach des Autoradios stecken. Dann konnte man auch ohne CD-Spieler im Auto eine CD hören.

Es sei denn Kopfsteinpflaster.

Oder Akku aus.

Ach …

Kategorien
Medien

In Brüssow tanzte die Jugend mindestens einmal im Monat

Aus der Reihe, die bisher noch gar keine Reihe war und vielleicht auch nie eine werden wird, wenn sie es aber würde, dann mit dem Namen: „Perlen aus dem Stadtarchiv“.

seeblick1

Wie gefragt ist eigentlich Jugendtanz?

Diese Frage stellte die „Freie Erde“ im Januar 1973, um sie anlässlich der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten auf einer halben Seite mit einem klaren „Sehr!“ zu beantworten. Und zugleich – im Rahmen des Möglichen – auch die dürftigen Angebote zu kritisieren:

Doch wie sieht es damit in Wirklichkeit aus? Vielerorts sind die Jugendlichen unzufrieden, weil eben nichts los ist. Die Verantwortlichen schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Es kommt zu keinen Ergebnissen. Und deswegen muß man diese Frage ganz offen stellen.

Nun, daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Im Artikel geht es dann vor allem ums Schwoofen in Brüssow in der Uckermark, das mindestens einmal im Monat in der Gaststätte „Seeblick“ organisiert wurde, „einem Schmuckkästchen, sehr einladend“. Davor hatten’s die Brüssower Partypeople nämlich nicht einfach:

Tanzveranstaltungen machten wir zwar öfter, aber es stand uns dafür nur ein Raum im Kreisbetrieb für Landtechnik zur Verfügung. Die Atmosphäre war überhaupt nicht schön, es standen dort leere Bierkästen umher. Und das war für uns Anlaß, unsere Veranstaltungen niveauvoller zu gestalten.

Und so sah es dann schließlich aus, das hohe Niveau im „Seeblick“: Ein Tisch mit XXL-Tischdecke, zwei Tische für die Lichtanlage, der Stereo-Schallplattenspieler schon aufgebaut und angeschlossen; und drumherum jede Menge Pilzkopf-Checker in Rollkragenpullis. Keine hässlichen Bierkästen weit und breit, dafür ein Aufpasser-Homie im weißen Kittel sowie Fenstervorhänge, deren psychotisierendes Muster vermutlich einen Großteil der damals üblichen Rauschmittel ersetzen konnte. Sicherheitshalber wurde dieses Bild dann auch nur schwarzweiß gedruckt:

seeblick2

Fazit: Früher war alles immer schon ganz genauso, nur eben anders. Und: Ich bin schon gespannt, wie und wo ich im Jahr 2061 zufällig auf einen Bericht über heutige Jugendtanzveranstaltungen stoßen werde.

Kategorien
Medien

Dr. Kaos

Sauber sog i!

Kategorien
Medien Musik

Die Prinzen: DT64 bleibt

Der kurze Beitrag der Thomaner-Crew zum Kampf um einen Radiosender. Mehr dazu hier und in dieser einstündigen Doku auf Youtube (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4), die die Nachwendezeit von DT64 genau und kenntnisreich beleuchtet.

Kategorien
Sport Sprache

Standardsituationen im Fußball und die DDR

standard

Es gibt ja generell nicht ganz so viele Dinge, die die DDR in die Deutsche Einheit einbringen konnte. Das Land stand ’89 kurz vor dem Staatsbankrott, liest man da immer wieder. Dann hatten die Leute kaum Zeit und noch weniger Nerven, sich von Mauerfall bis D-Mark zu besinnen und mal ’ne Inventur zu machen und nachzudenken, was ist Kunst und was kann weg. Wenn dann mal zu den einschlägigen Jubiläen flink Beispiele gesucht werden, findet man im Normalfall Produkte wie Rotkäppchen-Sekt, Bautz’ner Senf oder Nudossi, Wörter wie Broiler, Datsche oder Soljanka und dann vielleicht noch die Kindergärten-Dichte und den Grünen Pfeil.

Doch im Fußball?

Hans Meyer sitzt im Präsidium von Borussia Mönchengladbach seine Rente ab, Matthias Sammer hat das Haifischbecken Bayern München verlassen, und Toni Kroos wurde erst geboren, als die DDR schon hastig ihre Auflösung plante. Das jüngste 11-Freunde-Spezial zur DDR ist vergnüglicher Lesestoff für die Zielgruppe und hat sogar eine Neubrandenburg-Story, doch im Prinzip kannste auch da den „Opa erzählt vom Krieg“-Stempel raufpfeffern, und keiner könnte meckern.

Doch dann kuckste Tschämpjenslieg, und der Reporter reportiert begeistert von den Standards, den die Mannschaft so meisterhaft beherrscht, DIESE STANDARDS, LIEBE ZUSCHAUER! STANDARDS VOM ALLERFEINSTEN! Ein Beispiel aus dem Lehrbuch der Standardsituationen sei dieser Freistoß da eben gewesen, und dann denkste, wenn der Typ nochmal Standard sagt, flippste aber aus, und er sagt EIN SUPPASTANDARD!, und du willst eigentlich ausflippen, landest aber dann doch wieder nur irgendwo im Internet und erkundigst dich beflissentlich über die Herkunft der Fußballvokabel „Standardsituation“.

Und schwupps!, da sind wir dann schon wieder bei der DDR.

Der Begriff tauchte im Fußball erstmals in den 1970ern in der DDR auf. Im westdeutschen Fußball wurde der Begriff gegen Ende der 1980er Jahre übernommen.

Behauptet das Lexikon. Stichprobe im Spiegel-Archiv:

„Manndecker“, neben den „Standardsituationen“ die derzeit gängigste Kreation aus dem unerschöpflichen Reservoir deutscher Sportsprache, sind ganz offensichtlich wieder in.

Das wird im „Spiegel“ vom Dezember 1987 festgestellt, und vorher habe ich keine Fußball-Standards dort gefunden. Auch im Zeit-Archiv wird 1986 noch ein schnöder „langer Paß auf den Flügel und dann Flanke nach innen“ als Standardsituation bezeichnet. Im Rechtschreib-Duden taucht „Standardsituation“ erstmals 1986 auf. Über das 1988 erschienene Buch „Standardsituationen“ des Schriftstellers Eckhard Henscheid heißt es etwas muffigböse:

Der Wechselbalg stammt aus dem Sumpf der neudummdeutschen Sportreportersprache und bezeichnet – unter anderem – das, was ehedem Einwurf, Ecke, Strafstoß hieß.

Stichprobe im Archiv des „Neuen Deutschlands“, des früheren SED-Zentralorgans. „Zwei Standardsituationen zum Erfolg über Rumänien genutzt“, heißt es dort schon 1973, und das ist beileibe nicht der einzige Treffer in den Siebzigern. Wer die Möglichkeiten und die Muße hat, wird sicherlich noch frühere Fußball-Standards in der DDR-Schriftsprache aufspüren können.

Nur: Warum? Nun, „Standards“ fassen Dinge zusammen, die vorher mühsam haben aufgezählt werden müssen: Anstoß, Freistoß, Eckball, Einwurf. Nur logisch, dass sich der Begriff durchsetzt, der Mensch ist eben ein bequemer. Aber wieso entsprang die neue Bedeutung ausgerechnet im Osten Deutschlands? Die Antwort gibt eine Publikation der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich aus dem Jahr 2008.

In „Standardsituationen – Die universitäre Lehrveranstaltung als Fussballspiel“ (PDF) erklärt der Schweizer Historiker Christan Koller die Hintergründe. Er schlägt dabei einen Bogen vom Gefechtsdrill bei der Armee („… lag das fussballerische Training dabei im Trend sowohl der zivilen als auch der militärischen Didaktik …“) über Turntraditionen („Mit der Einübung standardisierter Bewegungsabläufe bei stehenden Bällen im Fussball wurde einerseits ein Stück alter Turnerkunst aufgegriffen“) bis hin zum „Wissenschaftlichen Sozialismus“, und konstatiert:

Disziplinen, bei denen standardisierte Spielzüge eine wichtige Rolle spielten und die sich deshalb im Geiste des «Wissenschaftlichen Sozialismus» analysieren und trainieren liessen, hatten in der Sportpolitik des «grossen Bruders» Sowjetunion seit jeher eine wichtige Rolle gespielt.

Kein Wunder also, so Koller, dass die Sowjets in Schach und Eishockey so gut waren. Und kein Wunder ebenso, dass in der DDR, wo einerseits die Sowjetunion in jenen Zeiten gerne als kulturelle Blaupause verwendet wurde und andererseits der Fußballsport aufgrund der bescheidenen Erfolge in den Siebzigern (Olympia-Bronze, -Gold und -Silber, das 1:0 von 1974, der Europapokal-Sieg des 1. FC Magdeburg) Konjunktur hatte, das sozialistisch Planbare, Messbare, Einübbare im so chaotisch-individuellen Fußball fleißig mit einer neuen Wortbedeutung hervorgehoben wurde.

Dass diese „Standards“ sportsprachlich auch sonst eine ziemlich gute Idee gewesen waren, zeigte sich allerdings erst ein Jahrzehnt später, als die Standardsituationen aus dem „Sumpf des Neudummdeutschs“ in den gesamtdeutschen Sportwortschatz einsickerten. Heute ist die Genese des Begriffs zwar zumeist unbekannt, seine Popularität aber dennoch ungebrochen. Und damit das hier nicht allzu trocken endet, habe ich mal aus dem aktuellen Weltfilmangebot einen besonders knuffigen Standard herausgefischt:

Kategorien
Haus Neubrandenburg

Ausgebuddelt: W. Zahrendt, Neubrandenburg

Lange nix mehr ausgebuddelt hier. Jetze aber mal wieder.

Ende des 19. Jahrhunderts muss es eine Familie Zahrendt in oder um Neubrandenburg gegeben haben, die dem Handel mit Alkoholika zugeneigt gewesen ist. So findet sich in diesem Eintrag einer Familiendatenbank ein Hinweis auf einen „Bierverleger“ Richard Zahrendt in Neubrandenburg, und das klingt schon so klasse, Bierverleger, das könnte man sich glatt für später mal vorstellen, so als zweites berufliches Standbein.

Doch auch ein Verwandter des Bierverlegers hat damals sein Geschäft mit Mineralwasser, Wein und Bier gemacht. Das zeigt sich in dieser wunderschönen Printreklame aus dem Jahr 1901. Darin ist zu erfahren, dass ein gewisser „W. Zahrendt“ die Produkte der damals führenden Brauerei im Nordosten, Mahn & Ohlerich aus Rostock, am Tollensesee verkaufen möchte.

Und diese Handels-Verbindung dürfte auch den Anker erklären, der sich auf einem Porzellan-Zapfen von „W. Zahrendt, Neubrandenburg“ befindet, den ich jüngst aus dem Vorgarten buddelte. Mit Dichtungsring und Drahtfeder muss das Ding vor mehr als hundert Jahren mal ’ne Buddel Küstenbier verschlossen haben, die dann irgendwo in der Ihlenfelder Vorstadt ausgesüffelt wurde und schließlich in der Erde des Wolfswinkels versank.

W. Zahrendt

zahrendt2

(Was soll das? Und gibt’s da noch mehr von?)