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Das Leben als ein Fußballspiel

Auf eine meiner regelmäßigen Vaterjammereien, dass ja alles so schnell und sie ja nun schon so groß und bald und überhaupt entgegnete Charlotte heute beim Frühstück, dass sie doch erst zehn und also gerade mal beim Aufwärmen seien. Ich war daraufhin ein wenig beruhigter und nahm mir vor, diese Analogie mal ein wenig weiterzuspinnen.

Fußballnuckel

Demnach ist das Training die Schwangerschaft. Alle für die kommenden 90 Minuten benötigten Systeme werden daraufhin optimiert, auf dem Feld bestmöglich zu funktionieren. Die Aufwärmphase im Stadion wären dann die Wehen. Große Aufregung bei Beteiligten wie Zuschauern, die letzten Vorbereitungen für das Spiel werden gemacht, gleich geht’s los!

Anpfiff! Die Geburt. In den ersten Spielminuten ein vorsichtiges Abtasten. Wie tickt der Gegner heute? Wie geht das mit Laufen, Sprechen, Fahrradfahren? Das Publikum, also der Rest der Menschheit, ist mehr oder weniger bei der Sache. Eine schöne Kindheit wäre so etwas wie eine frühe Führung; wenn es nach 20 Minuten allerdings schon 0:3 steht, dann argumentieren die Strafverteidiger damit vor Gericht später gerne mal als Grund für ein übles Frustfoul.

Überhaupt: Foulspiel. Im Leben: Hangover, Ausraster, Scheißtage. Es gibt da die knallharten Eisenfüße, früher meist Verteidiger, heute oft im defensiven Mittelfeld, die komplett aggro durchs Leben ziehen, schon in der Schule die Streber piesacken und später die krummen Dinger drehen. Listige Banker, Steuerflüchtlinge oder Spam-Betrüger haben sich hingegen eher auf taktische Fouls spezialisiert.

Bei überhartem Einsteigen eines Gegners oder des Schicksals wälzt sich der Spieler verletzt auf dem Boden, mancher nur kurz, mancher theatralisch lang. Klar, Krankheit. Der Arzt kommt aufs Spielfeld und kriegt einen meist auch wieder hin, oft genügt dann schon ein bisschen Eisspray. In seltenen, tragischen Fällen ist die erste Halbzeit noch nicht mal zur Hälfte um, und der Spieler muss vom Platz. Nur die besten …

Die eigene Mannschaft sind die zehn Menschen, die jedem am nächsten stehen, Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen. Im besten Fall kämpft man füreinander und praktiziert herrlich anzusehenden Kombinationsfußball. Manche Teams hingegen sind zerstritten und können kaum einen hässlichen, ungenauen Kick and rush. Da wird dann auf dem Platz gepöbelt und gegrätscht, im Leben geklagt und verleumdet, die Mannschaftsfeiern geraten regelmäßig zum Desaster, die Fans wenden sich ab, ein klarer Abstiegskandidat. Die Medien und der Dorfklatsch tun ihr übriges.

Neigt sich die erste Halbzeit dem Ende entgegen, ist der Zeitpunkt kein schlechter, nochmal ein psychologisch wichtigen Treffer zu erzielen. Übersetzt wäre das dann das Erreichen eines Zieles, das sich jeder für sein Leben vornimmt und bis zum Alter von 35, 40 noch nicht geschafft hat: der richtige Job, die richtige Stellung im Job, noch mal ein Kind oder überhaupt mal erst eines, endlich die schon immer geplante Weltreise machen, den Baum pflanzen, die Welt retten oder das ’83er-Panini-Album komplett kriegen. Sowas. Gelingt das, geht’s doch gleich mit viel mehr Schwung in den zweiten Durchgang.

Jetzt kommt es auf die Kondition an. Bin ich gut trainiert, oder macht der Körper frühzeitig schlapp? Ermüdungsverletzungen häufen sich, aber noch muss bis zur 90. Minute, bis zum 90. Geburtstag durchgespielt werden. Wenn die Mannschaft gut miteinander kann, die Laufwege abgestimmt sind und der team spirit, sprich gesellschaftliche Zusammenhalt ausreichend ausgeprägt ist, dann sieht es gut aus, dann locken die drei Punkte, also ein erfülltes Leben.

Manchmal wird noch jemand Neues eingewechselt und bringt im besten Fall frischen Wind und neue Kräfte ins Spiel. Oft ist das zwischen der 50. und 75. Minute der Fall, die Kinder sind raus, man weiß jetzt Bescheid vom Leben und fragt sich, ob es denn das nun schon gewesen sein soll oder das Remis vielleicht doch am Ende zwei verlorene statt ein gewonnener Punkt sein wird.

Und dann: der Abpfiff. Am Ende bleibt nur die Frage: Gibt es einen Schiedsrichter?