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Hundeblick

Erziehung ist ein weites Feld. Es kann vieles sein und nur wenig gar nicht. Unter anderem sollte es, so finden wir, darum gehen, eine gewisse Einfühlsamkeit an den Tag zu legen. Die Kinder sollten in der Lage sein, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können, sie sollte mitfühlen und ihren Egoismus in Zaum halten können.

Andererseits ist es auch wichtig, die eigenen Wünsche und Gelüste nicht gänzlich zu vernachlässigen. Hierbei, so lehrten wir es, sind alle legalen Mittel erlaubt – und wenn es das Suggestieren von tierischen Gesichtsausdrücken ist, wie Charlotte auf diesem von ihr mitverfassten Einkaufszettel nachdrücklich beweist:

Hundeblick

p.s. Lakritze ist ja nun mal auch ganz was Tolles! Und sie haben daraufhin natüüüüüürlich ein wenig schwarzes Naschzeugs bekommen.
p.p.s. Wie mir gerade noch auffällt, ist auch die Spezifikation des Trockenfutters sehr kundenfreundlich, auf dass man eben keines für Menschen kaufen möge.

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Politik

Alles gut

Es ist eigentlich ganz einfach. Der Zusammenhang hätte einem früher auffallen müssen. Pädagogen werden es vielleicht immer schon geahnt haben, aber ich bin mir ganz sicher: Ich weiß nun, wie man Weltfrieden macht. Denn war es nicht in den vergangenen Jahrzehnten im Allgemeinen erfreulich ruhig hier bei uns? Kein Krieg, keine blutige Revolution, keine marodierenden Banden, keine Pest. Stattdessen nur ein paar Auslandseinsätze, die Wende und BSE. Doch wie haben wir das nur hingekriegt?

Foto: Rupert Ganzer via Flickr unter CC-Lizenz by-nd

Soll ich sagen? Na gut. Das Rezept ist simpel: Gebt allen Kindern Trophäen! Dieses Gesetz wird beim hiesigen Nachwuchs immer stärker befolgt, und das ist schon das ganze Geheimnis. Denn es ist doch ganz deutlich: Die Tatsache, dass immer weniger Kinder bei uns aufwachsen müssen, die niemals in ihrer Kindheit auch nur eine einzige Urkunde, Medaille, Pokal oder wenigstens einen Spezialfairplaysonderpreis bekommen haben, diese Tatsache wird niemand leugnen, der in den vergangenen Jahren auch nur einmal bei einem Kindergeburtstag, Hort-Wettbewerb oder Fußballturnier dabei war.

Es lautet also das erste Gebot: Sobald sich beaufsichtigte Kinder miteinander messen, gibt es keine Verlierer. Alle bekommen Preise. Alle!

Wenn bei einem Hallenturnier die Zeit der Siegerehrung gekommen ist, rollt ein Kleintransporter rückwärts an die Eingangstür, und eine Menschenkette befördert die Paletten mit Medaillen, Pokalen und Urkunden zur Verteilstation. Denn natürlich wird unterschieden zwischen erster Platz, fast erster Platz und nicht ganz erster Platz, so ist es ja nun auch wieder nicht. Und für die Schießbudenteams hat man gottseidank genügend Extrapreise, so dass auch niemand mit leeren Händen verabschiedet werden muss.

Denn das wäre furchtbar, das ginge ja überhaupt nicht, das ist so nicht mehr vorgesehen. Kinder brauchen Bestätigung, Erfolgserlebnisse, Ansporn. Möglichst viel, möglichst oft. Das geht am allerbesten durch kleine Pokale, die dann zuhause zu den anderen drapiert werden können. So müssen die Kleinen nicht mehr so leiden wie der arme Urgroßvater, der noch heute die Insignie seines einzigen Kindheitserfolgs, das Sportabzeichen in Bronze, jede Woche akribisch reinigt und wieder zurück in die Vitrine legt.

Auch beim Dosenwerfen zum Kindergeburtstag zählt der olympische Gedanke. Dabeisein ist alles, und ja, es ist dennoch nicht immer ganz zu vermeiden, dass manche mit präzisen Gewaltwürfen alles mit einmal umsemmeln und manche aus zwei Metern kein Einfamilienhaus (mit Carport) treffen würden. Aber das ist ja das Schöne: Schnell allen ’nen Kaubonbon in die Hand gedrückt und Schwamm drüber!

Tut man das nicht, hätte die Wurf-Schande vielleicht noch Wochen und Monate nachgegärt, und wenn dann ein ruppiges Elternpaar noch unsensible Sprüche klopft, kann sich die Lebenslaufbahn des Gedemütigten schon mal bedrohlich in die allerdüsterste Schieflage neigen. Aber so haben doch alle ihr Nasch bekommen, es muss also keine Schmach gerächt, keine Pleite ausgemerzt, kein Versagen mehr getilgt werden.

Und noch die unmusikalischsten und schüchternsten Nuschelkinder werden von empathischen Erzieherinnen bei der Talenteshow im Hort sofort mit Aufmunterungen und Kleinspielzeug bedacht, auf dass sie bloß nicht enttäuscht werden. Lobet die Preise! Würde es nicht so arrogant wirken, müsste man eigentlich statt machtloser Außenpolitiker palettenweise Plastepokale, Urkundenbündel und Trostpreispakete in die Krisenregionen dieser Welt schicken.

Wir alle werden bessere Menschen, wenn wir in der Prägungsphase nur ausreichend belohnt werden, so sieht’s doch aus! Wir machen Weltfrieden, weil kein Kind mehr verlieren muss. Würde die Give-Away-Industrie das wissen und ordentlich expandieren – die Diplomaten dieser Welt könnten scharenweise freiwillige soziale Jahre absolvieren und sich anschließend wahlweise zum Mediator oder – das ist derzeit noch eine Marktlücke – professionellen Preisrichter umschulen lassen. Umso mehr Auszeichnungen, umso besser! Je blinki, desto gut. Alles gut!

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(Im Ernst: Ja, ich finde ein regelmäßiges, gerechtes und möglichst üppiges Belohnungssystem bei Kindern sehr gut. Und nein, ich bin kein Darwin-Fan. Ich frage mich aber manchmal, ob man nicht über das hehre Ziel, Kinder glücklich machen zu wollen, etwas hinausschießt, wenn man mit den Bundesverdienstorden nur so um sich schmeißt. Ich glaube, Kinder sollten sich fragen können, warum gerade sie jetzt ausgezeichnet wurden. Und nicht, warum gerade sie jetzt diesmal nicht.)

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Neubrandenburg

Showdown an der Kaufhallenkasse –
Eine kleine Warentrennerpsychologie

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Der Kunde hat ein wenig schlechte Laune. Er hat eine Wareneinräumerin höflich gefragt, wo denn bitteschön der Flaschenabgabeautomat hier zu finden sei. Ihr hingerotztes „Keine Ahnung, räum hier nur ein!“ hat ihn kurz irritiert, er besinnt sich aber und lässt wie schon viel zu oft den vermutlich pommerschen Familienhintergrund der Dame als Milderungsgrund gelten.

Sein Gemüt erhellt sich auch nicht, als ihm und seinen vier Artikeln – er hat nicht einmal einen Einkaufswagen – kurz vor der Kasse von einer kurzen Frau mitsamt ihres monströsen Monatshamstereinkaufs rüde die Vorfahrt genommen wird. Zum Abschluss der Ärgernis-Triologie fährt ihm noch ein Halbstarker mit Schmackes in die Hacken.

Gut, denkt sich der Kunde, es ist also Zeit für ein kleines Experiment. Als er bis ans Kassenband vorgerückt ist, legt er seinen Kram aufs Band, direkter hinter den Monatseinkauf. Allerdings mit einem kleinen, aber erkennbaren Abstand. Von den Warentrennern (auch Näkubis, Dientjemientjes oder Kassentobleronen genannt) steht er noch zu weit weg.

Dann fängt der Spaß an. Die kurze Frau rückt vor, der Kunde rückt vor. Der Halbstarke auch, er packt seine paar Bier hinter den Einkauf des Kunden. Der Kunde kramt geschäftig in seinem Portemonnaie und macht – nichts. In den Gehirnen der kurzen Frau und des Halbstarken beginnt es zu rattern.

Wer ist hier eigentlich der Warentrennerverantwortliche? Der Vordermann? Legt er den Trenner nur vor seinen Einkauf? Oder nur hinter seinen Einkauf? Gibt es dafür eine Knigge-Regel? (Nein, die gibt es nicht.) Und warum, beim heiligen Kaufhallengott, warum macht der Typ mit seinen vier Artikeln keinerlei Anstalten, seine Waren von unseren abzutrennen? Will er in Teufels Küche geraten und am Ende vielleicht aus Versehen eine WARENDURCHMISCHUNG produzieren?

UM HIMMELS WILLEN!

Die Laune des Kunden bessert sich. Er steht jetzt in Reichweite gleich dreier Warentrenner, sein Einkauf liegt aber nach wie vor komplett warentrennerlos auf dem Band, nackt irgendwie, unordentlich … ja, chaotisch geradezu. Anarchie an der Kaufhallenkasse. Der Kunde kommt sich für einen kurzen Moment furchtbar rebellisch vor, er möchte laut „NIEDER MIT DEM WARENTRENNERZWANG!“ brüllen.

Es ist dies der Moment, wo im Film alle Umstehenden ausgeblendet würden. Ein Strohballen würde durchs Bild rollen, der Zuschauer sähe in Nahaufnahme die Schweißtropfen, die sich auf den zerfurchten Gesichtern der Protagonisten bildeten. Die Duellanten blickten sich tief in die Augen, jetzt nur nicht die Nerven verlieren, die Hand wandert langsam zum Pistolenhalfter.

Der Kunde glaubt, kurz ein Knistern gehört zu haben. Es dauert nur wenige Sekunden, aber die Atmosphäre in dieser kurzen Zeit ist zum Zerreißen angespannt. ,MEIN Einkauf ist NICHT getrennt von SEINEM Einkauf! MEIN Einkauf ist NICHT getrennt von SEINEM Einkauf! MEIN Einkauf …‘ hämmert es im Kopf der kurzen Frau, deren zunehmend nervöser Blick zwischen ihrem Einkauf, dem Kunden und den Warentrennern umherhuscht, die immer noch unangetastet neben dem Kassenband liegen.

Auch der Halbstarke ist nicht gefeit vor der plötzlich aufkeimenden Warentrennerlosigkeitsangst. Nachträglich legt er seine vorderste Bierflasche um, so dass sie nun KEINESFALLS! zum Einkauf des Kunden gerechnet werden kann. ,Puh, Unglück nochmal abgewendet!‘ steht es in seinem Gesicht geschrieben. Erleichtert nimmt er zudem zur Kenntnis, dass der Kunde seine Hand in Richtung der Warentrenner ausstreckt.

Doch der Kunde nimmt sich lediglich eine Packung Kaugummis aus der Auslage und beendet mit diesem final move sein kleines Sozialexperiment. Keine zwanzig Sekunden haben es die kurze Frau und der Halbstarke ausgehalten, an der Kaufhallenkasse direkt neben einem vermutlich total irrsinnigen Warentrennerverweigerer zu stehen. Sie greifen fast gleichzeitig zu den Balken, atmen erlöst aus und stellen die Weltordnung wieder her.

Der Kunde lächelt kurz, bedankt sich artig und kann es letztendlich nur seiner Nichtraucherei zurechnen, den beiden Erleichterten vor der Kaufhalle nicht eine gemeinsame „Zigarette danach“ angeboten zu haben.

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Update: Jemand dachte da ähnlich.

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Sport

Wider die Schlechtpassklatscherei

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Portogesen haben es gestern getan, Schalker sowieso. Kaum ein Spiel, in dem es nicht passiert. Besonders ab Regionalliga abwärts ist das Ritual um so lustiger, je ernsthafter es vorgetragen wird, impliziert es doch ein gehobenes Verständnis von fußballtechnischen und -taktischen Feinheiten, was meist aber nicht unbedingt zu den Primärtugenden der Sportarbeiter in jenen Gefilden gehört.

Reden wir also über die Schlechtpassklatscher.

Man kennt das: Spieleröffnung, das Warten auf den richtigen Moment, und dann schlägt jemand einen Pass, zu dessen guten Eigenschaften vor allem gehört, gut gemeint gewesen zu sein. Kann passieren. Was – in meinen Augen zunehmend – stört, ist die einlullende Reaktion des vermeintlichen Passempfängers. Weil das Zuspiel in Zeit und/oder Raum missglückte, kommt der Stürmer oder Flügelläufer ein paar Schritte zu spät, in einigen hoffnungslosen Fällen ist es ein kompletter 100-Meter-Lauf, der Ball und Passempfänger trennt. Meist landet die Pille dann im Seiten- oder Tor-Aus, der Angriff ist futsch.

Und dann passiert es.

Der Adressat klatscht. Meist über dem Kopf, drei, vier aufmunternde Händepatscher lang. Dazu ein Hundeblick gen Zuspieler, hey, kommt vor, die Idee dahinter war allerdings großartig! Eine gern verwendete Modifikation ist der erhobene Daumen, der signalisieren soll, dass man sich auf dem richtigen Weg befinde, den es nun gemeinsam zu beschreiten gilt, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wahrscheinlich ist die grassierende Schlechtpassklatscherei auch eine Folge des trendigen Trainierens mit Sportpsychologen, die es dann permanent in die Fußballerköppe hämmern: „Die Mannschaft ist der Star! Seid positiv! Auch ein schlechter Pass hat etwas Gutes und kann, nein, muss beklatscht werden!“

Ich warte auf den Moment, in dem ein soeben wegen eines Abwehrpatzers überwundener Torwart seinen Vorderleuten den behandschuhten Daumen entgegenreckt und so Sachen sagt wie: „Es geht voran, Leute! Diesmal schon 50 Minuten bis zum ersten Gegentor, darauf müssen wir aufbauen. Und Heiner, die Absicht, die hinter deiner missglückten Grätsche im Sechszehner steckte, die verstand ich wohl. Bravo! Ich bin mit euch!“

Das Fazit: Es muss wieder mehr geschimpft werden im Fußball. Gerade und besonders mit den Spielern der eigenen Mannschaft. Permanent schlechte Leistungen zu beklatschen ist eine doofe Form von sportpolitischer Korrektheit, und ich wünschte mir, Olli Kahn könnte das vor seiner Pensionierung bitte noch mal klären. Danke schön.

(Zuerst veröffentlicht im Nachspiel-Blog)