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Wie steht es um den deutschen Fußballosten?

Der deutsche Fußballosten. Der eine sieht ihn verschwinden und empfindet Mitleid jedoch als eher unangebracht. Der andere zieht optimistische Vergleiche mit Kiel und Saarbrücken und empfindet Mitleid als fehl am Platz. Ich kenne diesen Fußballosten gar nicht persönlich und stecke meine Nase mal lieber in die Vergangenheit:

So. Rein quantitativ betrachtet krepeln in den ersten drei Fußballebenen genau so viele Ostvereine herum wie noch vor vier und fünf Jahren. Die konstantesten von ihnen – Hansa Rostock, Union Berlin, Energie Cottbus – sehen sich in der zweiten Liga, und auch die Drittligisten Dresden, Erfurt, Aue und Jena sind mitnichten überraschende Emporkömmlinge. Würde man sich den Spaß machen und die Zuschauerzahlen dieser Klubs mal in Verhältnis zu irgendwas setzen, wäre vielleicht auch nicht so viel von Mitleid, welcher Art auch immer, die Rede.

Qualitativ gewichtet sieht es ein wenig anders aus, in der Tat wird hier ein gewisser Abwärtstrend sichtbar. Das liegt an der künftigen Nichtteilnahme des Fußballostens an der Bundesliga, aber auch an der Umstrukturierung der Regionalligen. Und vor gerade mal zwei Jahren ist nach dieser Rechnungsweise das beste Ost-Ergebnis (2xBL, 2x2L, 6xRL) der vergangenen Dekade zu konstatieren.

Lassen wir spaßeshalber die dritten Ligen außen vor, ergibt sich ein ähnlich diffuses Bild. Die soeben vergangene Saison waren es lediglich Cottbus und Hansa, die in Liga eins und zwei mitspielten, vor zehn Jahren gab es eine ähnliche Konstellation, nur gab es damals noch die Regionalliga Nordost, quasi eine Reinkarnation der DDR-Oberliga. Mit einer Ausnahme spielten immer zwei bis fünf Ostklubs in Bundes- und 2. Liga, ein Trend ist hier nicht zu erkennen.

Unter dem Strich ergibt sich folgendes Fazit: Ja, der Fußballosten verschwindet – stützt sich der Analysator größtenteils auf die Teilnahme und den Erfolg von Ostvereinen in der Eliteklasse. Nein, es gibt ihn und er lebt – löst man sich von der Bundesliga und sieht mal nach, wie es darunter so kreucht und fleucht. Und findet jemand mal verlässliche Zahlen, wie viele hoffnungsvolle Ost-Fußballer zwecks Ausbildung, Studium oder generellem Geldverdienen gen Westen zogen, braucht niemand mehr pünktlich zum Saisonende Mitleid, Traurigkeit oder Ärger herauszukramen.

Es ist eben so.

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Ein Abend mit Kutte An der alten Försterei

Es gibt Fußballvereine, die kann man anhand ihrer Titelvitrine beschreiben. Bei manchen ist es die Fankultur oder das Festgeldkonto, die Nachwuchsarbeit, die Jahrtausende alte Tradition oder das Fehlen derselben, das den Klub auf die Schnelle am besten charakterisiert. (Und wer wollte bestreiten, dass Fußballklubs keinen Charakter haben.) Manche Vereine erschließen sich manchem hingegen zuerst auch über ihr Stadion.

Stadion_an_der_Alten_Försterei

Foto: Lear21 unter CC-Lizenz by-sa

Für mich ist Union Berlin so ein Verein.

Das ist lustig, denn dieser neblige Februar-Abend vor acht Jahren war mein erstes und bislang einziges Mal in der Alten Försterei. Pokalhalbfinale, Union gegen Gladbach. Das Spiel Regional- gegen Zweitligist hatte mehr als 18.000 Zuschauer gelockt, darunter auch zwei Eventfans, die ungewollt an Karten gekommen waren. Zusammen mit ganz viel Ostberlin strömten wir gen Stadion, als uns Hungrige die bekannte Melange von Bockwurst, Weißbrot und Senf in ein geselliges Gasthaus zog.

„Ey, wer seidn iaa?“
„Öh, wir möchten gerne was essen.“
„Möchten? Gerne?“

(Lachen)

(Pause)

(Nochmal Lachen)

„Wüat! Zwee Wurst, zwee Bia! Und jetzt Fresse jehalten und dahinten inne Ecke, kla?!?“
„Öh, wir würden aber gerne …“

Ich weiß noch genau, wie ich meinen Freund damals bewundert habe ob seiner zidaneschen Körperbeherrschung, als er in der berstend vollen Unionkneipe mit vollem Bierglas und Bockwurst in den Händen von so ’ner ollen Kutte erst in seinem Widerspruch unterbrochen und dann in die Nische zwischen Tresen und Klotür hineindrangsaliert wurde. Und ich sehe auch noch diesen anthropologisch angehauchten Blick des Wirtes, der dieses Initiations-Ritual offenbar gut kannte und meinem Freund nur stumm riet: „Mach jetzt einfach mal gar nichts.“

Offenbar weil ich kameradenschweinig und feige gewesen war und nicht edel solidarisierend protestiert hatte, wurde ich ebenfalls grobschlächtig in die Ecke komplimentiert; aber das Bier war kühl und billig, die Wurst fettig und lecker, die Kneipe laut und vorfreudig. Irgendwie kamen immer noch mehr Menschen hinein, ohne dass gehende Gäste für Volumenentlastung sorgten. Die olle Kutte hatte uns längst eine Runde spendiert, sicherheitshalber hatten wir prompt zurückspendiert, und so kam man bald ins Gespräch.

„Kommpt wohl nich von hia, wa?“
„Nein, wir kommen …“
„Na dit merkich. Wollta ma dit Stadion sehen?“

Wir verzichteten auf die naheliegende Replik Na logisch, Alta, wat gloobste, wofür die Karten hia sind? und wurden durch Kutte sicher zurück in die Welt des Sauerstoffs geleitet. Und erst nachdem die Försterei „je-entat“ (O-Ton Kutte) war, wussten wir sein Angebot allmählich zu deuten. Kutte zeigte uns das ganze Stadion, sein Stadion, wie er mehrmals pathetisch in die Köpenicker Abendluft raunte. Eine halbe Stunde lang dackelten wir in der Alten Försterei einem angetrunkenem Union-Fan hinterher, der Stadion-Anekdote an Stadion-Anekdote reihte und mich noch heute meine verdammte Faulheit verfluchen lässt, damals nicht in der Nacht noch alles aufgeschrieben zu haben.

Zwischenzeitlich glaubte ich, der permanent gestikulierende und stets voranschreitende Mittvierziger hätte uns über seine Fußballplatzgeschichten von A wie Anzeigetafeln bis Z wie Zoolautierende Gästefans vergessen. Doch dann, wir kamen gerade bei unseren Plätzen auf der Haupttribüne an, der Anpfiff nahte, die Einführung in die Stadionkunde hallte noch durch unsere Köpfe, der Fanblock gegenüber sang sich gerade warm, dann drehte sich Kutte plötzlich um.

Dit is mein Stadion, vastehste?“

Er lachte noch kurz und ging. Und wir hatten vastandn. Union gewann schließlich mit 6:4 im Elfmeterschießen, wir erwischten den damaligen Gladbacher Trainerschüler Michael Frontzeck nach der Pressekonferenz herzhaft in die diesige Nacht fluchend, und Kutte muss die vergangenen Monate im Jahn-Sportpark-Exil wohl ziemlich gelitten haben.

Aber alles egal. Union ist aufgestiegen, Union hat ein neues Stadion. Herzlichen Glückwunsch.