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Familie sl.

Der Mann ohne Pust-Boost

Und dann kommt dieser eine kurze Moment, in dem der moderne Mann wieder zum Tier wird.

FishVorher ist alles schön. Die Sonne scheint, das Meereswasser glitzert, der Wind windet sich so umher und fragt mal hier, ob er mal ein wenig Abkühlung herbeiwehen solle und mal da, ob es denn schon zu viel der Seeluft sei. Der Sand umschmeichelt die bereits leicht angebräunten Füße und gibt sich ansonsten dolle Mühe, sich nicht allzu stark aufzuhitzen.

Die Kinder haben sich erstaunlich schnell ausgezogen; abends vor dem Schlafengehen bereitet das Entkleiden ja deutlich mehr Probleme, das muss mit den unterschiedlichen Lichtverhältnissen zu tun haben, ich weiß es auch nicht. Rein in die Badesachen und dann, je nach Gusto, lesend auf die Decke oder johlend in die Wellen. Die Großen bereiten wahlweise das große Sonnencreme-Massaker vor oder wundern sich über die neuesten Entwicklungen in der Windmuschelaufbautechnik-Industrie.

Ich habe dann genau acht Momente Zeit, bevor von irgendwoher wohlbekannte Worte die Meeresidylle durchschneiden wie der heiße Draht das Styropor: „Papa, kannst du mir bitte [an dieser Stelle luftabhängige Schwimmhilfen Ihrer Wahl einsetzen] aufblasen?“ Kurzer Check, Mist!, es hat „bitte“ gesagt, seine Anfrage darf also auch aus pädagogischen Gründen nicht abschlägig beschieden werden. Noch einen tiefen Salzluftatmer, und dann ein gütiges „Na klar!“ gebrummelt; es sind schließlich auch solche Sachen, die in der Akte „Vatersein“ auf der Aufgabenliste stehen und gefälligst erfüllt gehören.

Und dann kommt dieser eine kurze Moment, in dem der moderne Mann wieder zum Tier wird.

Denn wir haben für unseren Urlaub diesmal keine komplette Südseeinsel gemietet, sondern sind an der Ostsee gestrandet, weil es dort nämlich viel schöner ist. Heißt aber auch: andere Menschen. Nur schwer zu vermeiden … das … egal … was solls. Und da links von uns, diese Familie, kurz nach uns angekommen, etwas übersichtlicher und deshalb schneller mit ausziehen, aufbauen, durchatmen. Dieser Vater dort, er wurde ebenfalls … haha: angepumpt! Um kostenlose Atemluft also von seiner Tochter gebeten und, wie ich, hat er sich in Aufblaspositur begeben und legt, in diesem Moment, mit langsamen, konstant voluminösen Atemstößen los.

Kein Problem, hätte er nur zwanzig Sekunden früher angefangen. Kein Problem, hätte er ein Paar armselige Oberarmschwimmhilfen aufzublasen gehabt. Kein Problem, hätte ich ihn nicht gesehen. Aber: ähnliche Luftmatratzengröße, gleicher Start, und direkt in meinem Sichtfeld. Instinktiv schiebt sich meine Oberlippe hoch, ein aggressives Knurren kann ich gerade noch unterdrücken, ich halte eine kurz-anfeuerige Zwiesprache mit meiner Lunge: Okay, jetzt gilt’s!

Mein zweites Ich steht direkt neben mir und lächelt mild über das mittlerweile monströs pustende erste, hach, dass es nach all den Jahren in der Zivilisation doch noch so primitiv sein kann, herrlich! Die Matratze füllt sich schnell, und der Nachbarsvater … ja! … er hat doch eben kurz mal abgesetzt, hehe, er bangt offenbar um sein schwächliches Bewusstsein. Naja, Mutter Natur hat ihre Lungenvolumina eben doch nicht gerecht verteilt, denke ich und deute ein joviales „Ich kann gut verstehen, in welch misslicher Lage du dich gerade befindest, mein Freund“-Kopfnicken gen Konkurrenzmann an.

Der aber muss illegales Luftdoping betrieben haben, so wie er jetzt bläst, als gäbe es kein Morgen mehr. Auch sehe ich kurz sein zweites Ich milde lächelnd neben ihm stehen, es kann aber auch nur eine Einbildung gewesen sein, mir ist schon ein wenig schummerig zumute, kein Wunder, pruste ich doch mittlerweile mit der Kraft von mindestens zehn Wölfen aus der „Drei kleine Schweinchen“-Geschichte. Nur die Arschloch-Matratze will sich nicht wölben, da muss doch irgendwo eine undichte Stelle sein, Verdammich!

Ganz klar: Mir fehlte der Pust-Boost.

Was danach passiert ist, weiß ich nicht mehr so ganz genau. Ich lag in der Strandmuschel, sah meine Tochter gemütlich auf unserer Luftmatratze auf dem Meer treiben, der Nachbarsvater, dieser doppellungige Angeber, blas gerade ein zwei mal drei Meter großes Schlauchboot auf, während er nebenbei mit seiner deutlich übergewichtigen Tochter der Schwerkraft trotzend Dutzende astreine Bizeps-Curls demonstrierte und vermutlich nebenbei noch Mandarin lernte.

Nun. Immerhin war ich noch am Leben; wenn auch mit Pust-Blues. Und wozu, frage ich, wozu, beim Gott der Atemluft, wozu also haben schmallungige, aber kluge Menschen diese überaus cleveren Aufblasgeräte erfunden? Es ist offenbar an der Zeit, das Strandequipment zu erweitern. Schließlich steht nirgendwo geschrieben, dass der moderne Mann seine Blas-Battles ausschließlich nur mit Eigenmitteln bestreiten darf.

Foto: Martin Abegglen via flickr mit CC-Lizenz by-sa

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