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Er will doch nur spielen: 50 Mal „Schlag den Raab“

Spiel ist ein äußerst komplexes, vielschichtiges und daher schwer fassbares Phänomen. Es reicht vom Falten und Bekritzeln eines Blatts Papier mit dem Kugelschreiber im Wartezimmer des Arztes bis zum anspruchsvollen Kampfspiel, das auch als hoch bezahlter Beruf betrieben werden kann. Es kann als lustiges Klimpern mit Klanghölzern, aber auch als virtuoses Klavier- oder Violinenspiel Form annehmen. Spielen kann sich als eine unbedeutende Tändelei, als Zeitvertreib realisieren, aber auch eine kulturschöpferische Bedeutung bekommen.

Soweit das Lexikon zum „Phänomenkomplex Spiel“. Seit acht Jahren gibt es eine Fernsehsendung, die das Spiel als essentielle Kulturform abfeiert, wie es die an Spiel-Shows nicht so ganz arme deutsche Fernsehlandschaft noch nie vorher getan hat. Zwar waren Spiele auch bei Einer wird gewinnen, Verstehen Sie Spaß? und Wetten dass..? Bestandteil der Show, aber eben nur: ein Teil.

Schlag_den_Raab_LogoSchlag den Raab ist dagegen Spiel in Reinform. Es geht in dieser Sendung einzig und allein ums Spielen. Genauer um eine Form des Spiels … [… hier geht es weiter im Text]

Spiel ist ein äußerst komplexes, vielschichtiges und daher schwer fassbares Phänomen. Es reicht vom Falten und Bekritzeln eines Blatts Papier mit dem Kugelschreiber im Wartezimmer des Arztes bis zum anspruchsvollen Kampfspiel, das auch als hoch bezahlter Beruf betrieben werden kann. Es kann als lustiges Klimpern mit Klanghölzern, aber auch als virtuoses Klavier- oder Violinenspiel Form annehmen. Spielen kann sich als eine unbedeutende Tändelei, als Zeitvertreib realisieren, aber auch eine kulturschöpferische Bedeutung bekommen.

Soweit das Lexikon zum „Phänomenkomplex Spiel“. Seit acht Jahren und an diesem Wochenende zum 50. Mal gibt es eine Fernsehsendung, die das Spiel als essentielle Kulturform abfeiert, wie es die an Spiel-Shows nicht so ganz arme deutsche Fernsehlandschaft noch nie vorher getan hat. Zwar waren Spiele auch bei Einer wird gewinnen, Verstehen Sie Spaß? und Wetten dass..? Bestandteil der Show, aber eben nur: ein Teil.

Schlag_den_Raab_LogoSchlag den Raab ist dagegen Spiel in Reinform. Es geht in dieser Sendung einzig und allein ums Spielen. Genauer um eine Form des Spiels, das Wettkampf-Spiel. Der Soziologe Roger Caillois kennt noch drei andere Spiel-Prinzipien (Zufall, Maske [das wäre dann Verstehen Sie Spaß?] und Rausch), die aber bei Schlag den Raab nur am Rand eine Rolle spielen. Es ist der Wettkampf, konkret: der Zweikampf, Mann gegen Mann oder Mann gegen Frau, der regelmäßig zwischen zwei und vier Millionen Zuschauer begeistert.

Das Zitat oben trifft es dabei ganz gut. Spielen wird bei Schlag den Raab als „vielschichtiges Phänomen“ respektiert. Es geht um Geschicklichkeit, Technik, Nervenstärke, Wissen, Flexibilität, Athletik, Geduld, Motorik, Ausdauer, Intelligenz und … ja, am Ende auch Glück. Es kann ein „anspruchvolles Kampfspiel“ für drei oder das „Bekritzeln eines Blatt Papiers“ für zwölf Punkte sein. Es kann eine „unbedeutende Tändelei“ sein wie das Flummi-Zielwerfen in der jüngsten Ausgabe, das die Vergabe von zweieinhalb Millionen Euro entschied. Und das Spielen bei Schlag den Raab bekommt dann eine „kulturschöpferische Bedeutung“, wenn es einem großem Publikum sehr effektiv zeigt, wie viel Spaß es verdammt noch mal macht, miteinander ein Spiel zu spielen.

Denn was wird den Menschen, die sich diese im Grunde genommen äußerst obszöne Sendung ansehen, nicht alles zugemutet. Erst einmal ist da dieser Raab, nach dem das Ganze … BLASPHEMIE! … schon mal gleich benannt ist. Der Typ kuschelt nicht mit der Bild und ist auch sonst kein perfekter Schwiegersohn. Er grinst ständig, gibt sich wenig Mühe, seinen Ehrgeiz zu verstecken, steckt seine leicht untersetzte Figur in stets die gleichen Sakkos oder teils unvorteilhafte Sportsachen und quasselt andauernd dazwischen. Er tut sich weh in der Sendung, blamiert sich, wird sogar manchmal unsympathisch. In jeder der durchaus zahlreichen Minuten von Schlag den Raab gibt sich Stefan Raab kaum Mühe, um deutlich zu machen: Das hier ist meine Sendung, ich bin hier der King of Jägerschnitzel; aber heult nicht rum: Kommt doch her und schlagt mich!

Und das sollte doch zu schaffen sein! Aber warum können die ganzen Bundeswehr-Piloten, Zehnkämpfer und Marathon-Chirurgen-Nobelpreisträger keinen Buggy steuern? Warum weiß der Muckibuden-Germanist nicht, wo Neustadt-Glewe auf der Landkarte zu finden ist? Und wieso, beim heiligen Elton, wieso laden die immer wieder irgendwelche superklugen Jahrhundertsportler ein, anstatt mal in den Kindergärten des Landes zu wildern und den in Geschicklichkeits- und Motorik-Spielen geschulten und nervengestählten Eltern der Republik eine mindestens genauso große Gewinnchance zu geben?

Schlimm sind natürlich auch die ebenso zahlreichen wie minutenlangen Werbepausen, die stets damit eingeleitet werden, dass in einem Gewinnspiel unsinnigerweise achtzehn Luxuslimousinen an einen ahnungslosen Sachbearbeiter verlost werden. Aber ich kenne auch niemanden, der jemals eine Schlag den Raab-Sendung an einem Stück durchgesehen hat. Denn diese Sendung ist eine wahre Spiel-Orgie, hinterher ist man wahrlich übersättigt und durch mit dem Thema und überhaupt könnte man doch auch in dieser ganzen Zeit …

… selbst was spielen. Tja. Volleyball, Basketball, Fußball, Eishockey, Handball. Laufen, Springen, Werfen. Fahren, Klettern, Kriechen, Balancieren, Jonglieren. Puzzlen, Raten, Kombinieren, Merken. Wissen, Nachdenken, Schätzen, Pokern. In dieser Mannigfaltigkeit kommt keine Spielshow mit, und sei sie noch so frisch und neu und klug und erfolgreich. Und warum sitzen Menschen in Zeiten des Internets nachts um zwei vor dem Fernseher, um zwei Durchschnitts-Typen dabei zuzusehen, wie sie versuchen, Ringe an einen Haken zu schwingen? Welche reguläre Live-TV-Sendung dauerte zuletzt länger als sechs Stunden?

Schlag den Raab hat 2006 begonnen. Ab 2007 gab es für Wetten dass..? kaum noch Marktanteile über 40 Prozent. Und dann die Frage: Ging es denn dort, schon bei Thomas Gottschalk, dann bei Markus Lanz, zuletzt überhaupt noch hauptsächlich um die Wetten? Diese Verrücktheiten, die in den Tagen darauf in der Republik aufgeregt besprochen worden sind? Wohl kaum noch. Gegenfrage: Hat Deutschland im November 2014 kollektiv darüber diskutiert, dass zwei Menschen es fast eine geschlagene Stunde nicht geschafft haben, ein englisches Kneipenspiel zu beenden?

Nun. Im Netz war es kurz ein Thema, bei den Menschen hier und da auch noch. Aber die Straßenfeger-Zeiten sind vorbei. Viele Kanäle, viele Interessen, viele Inhalte. Aber da gibt es etwas, das sendet Spiele galore, sechs Stunden zur Wochen-Prime-Time, in einem der größten Privatfernsehsender, in einer der größten Volkswirtschaften der Welt. Fünfzehn Spiele. Jedes Mal andere, manchmal Kinderspiele, manchmal Kindgebliebenenspiele, manchmal Spiel, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt. Mann gegen Mann, Mann gegen Frau. Es ist so simpel, und warum ist eigentlich vorher niemand darauf gekommen?

Und wenn wir denn theoretisch werden wollten, dann wäre Lanz der Homo faber, wogegen Stefan Raab der aktuell wahre Homo ludens der Republik ist:

… wonach der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel entwickelt: Er entdeckt im Spiel seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zu der in ihm angelegten Persönlichkeit. Spielen wird dabei der Handlungsfreiheit gleichgesetzt und setzt eigenes Denken voraus. Das Modell besagt: Der Mensch braucht das Spiel als elementare Form der Sinn-Findung.

Nicht umsonst grinst Raab im Trailer zur 50. Sendung in die Kamera und sagt unschuldig: „Ich will doch nur spielen!“ Das ganze Gedöns bei Schlag den Raab, die Musik-Acts, der Moderator, der Kommentator, die Reklame, die Reklame-Pausen, die Gegner-Suche – alles nur Beiwerk. Der Kern ist: Zwei Menschen spielen ein Spiel gegeneinander. Einer hat seit Jahren kaum nachlassenden Spass daran, das ist wohl trotz aller Poserei offenkundig, Und weil das so ist, weil der Mensch das Spiel braucht, und nicht nur das Handwerk, deswegen gibt es Schlag den Raab noch, und Wetten dass..? ist nicht mehr da. Glaube ich. Ich bin mir allerdings sicher, dass auch diese krude These spätestens dann dem Lauf der Geschichte geopfert werden wird, wenn es dazu dient, das entscheidende 15. Spiel zu gewinnen.

So. Als Rausschmeißer noch ein knapp zehnminüter Auftritt von Stefan Raab in der „Harald Schmidt Show“, wo es zwar weniger um das Spielen geht als um die Show und vor allem, wer den längeren … Atem hat, das Publikum zu begeistern und von sich einzunehmen. Er endet dann allerdings damit, dass Raab mit kindlicher Freude mit einem Schlauch im Mund spielt und dabei enthusiastisch eine Fernsehkinderfigur besingt. Der Clip ist aus dem Jahr 1996 und zeigt, wie sehr Stefan Raab jede sich bietende Möglichkeit nutzt, sich unterhaltsam zu präsentieren – und wie sehr sein Sinn für Timing, Pointen und Rhythmus schon damals, also vor etwa 18 Jahren, ihn knapp zehn Minuten bei einem noch halbwegs angriffslustigen Harald Schmidt mehr als nur überstehen ließen:

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