Kategorien
Neubrandenburg Politik Sport

And then I saw you playing

bball

Plötzlich stand er da. Nestelte an seinen Ohrstöpseln, schaltete die Musik am Smartphone aus und zog die Hoodie-Kapuze über sein Basecap, weil es leicht zu nieseln anfing. Kurz war ich so irritiert, dass ich fast einen Airball aus Freiwurf-Entfernung produziert hätte, dann sah ich noch mal zu ihm hin. Er stand da, weiterhin weit jenseits der Dreier-Linie, und sah mich an.

Es war nachmittags, und ich nutzte einen freien Tag, um mal wieder ein paar Körbe zu werfen. Der Herbst machte mit Windböen und Regenschauern schon mal dezent auf sich aufmerksam, die Fußball-Kinder in ihren Bayern- und Dortmund-Trikots waren längst vom Platz geflüchtet, weit und breit war niemand zu sehen. Doch dann stand da ein junger Mann und sah mich an.

„Willst du auch spielen?“
„Sorry, you speak English?“
„Do you wanna play?“

Er nickte kaum merklich, aber sein Lächeln war deutlich. Ich warf ihm den Ball zu und ging zu meinem Rucksack, um etwas zu trinken. Er hatte Handy und Stöpsel auf den Boden gelegt und den Ball in Empfang genommen. Der orangefarbene Basketball ist uralt, ich kaufte ihn einst in den frühen 90ern vom Taschengeld; und er ist schon derart abgenutzt, dass mit den Jahren das Handling stetig besser wurde – bis ich ihn zuletzt fast mit einer Hand greifen konnte. Der Mann prallte drei-, viermal, dann sah er zum Korb, machte zwei flinke Schritte, Stemmschritt, Absprung, Wurf.

Treffer.

Dafür, dass seine Wurftechnik miserabel war, traf er gar nicht wenig. Mit Vorliebe raste er auf den Korb zu, schnellte abrupt in die Höhe und bugsierte den Ball dann irgendwie gen Korb. Das klappte solange gut, bis irgendwann aus dem Niesel Regen erwuchs und der Mann beim Abstoppen mehrmals spektakulär auf dem glatten Tartan ausrutschte. Das muss ziemlich weh getan haben, führte aber nur dazu, dass er noch breiter grinste und sich jetzt auf Distanzwürfe konzentrierte.

„So, I am Sebastian. What is your name?“
„Joe.“
„Where do you come from, Joe?“
„From Eritrea.“
„And now you live here in Neubrandenburg?“
„No. In a small town nearby. One year ago I came to Germany. Now I visit some friends in Neubrandenburg. And then I saw you playing.“

Wir warfen noch einige Körbe, und Joe wunderte sich über die Frage, ob Basketball in seiner Heimat sehr populär sei. Er sagte, dass er das nicht so genau wisse, und dass in seinem Ort eben ein Korb stand und sie dann eben dort alle Basketball gespielt hätten. Ganz einfach. Und welche Position …? Playmaker. Kurz hatte ich das Gefühl, dass ihn der Smalltalk stören würde – denn warum muss man auch lange reden, wenn man einen Korb hat und einen Ball?

Lieber warfen wir noch einige Körbe. Mit Vorliebe warf er jetzt aus sieben, acht, zehn Metern Entfernung. Reggie Miller hätte ein wahres Déjàvu erlebt, hätte er Joe im Neubrandenburger Herbstniesel den Basketball werfen gesehen: Anderthalbhändig, schief und krumm, fast nur aus den Armen – und drei von fünf fanden ihren Weg in den Korb.

Nach einer Viertelstunde musste ich los. Doch Joe war gerade erst warmgelaufen: Er warf und traf und sprang und rannte und warf und traf und warf und traf. Als ich etwas trank und den nächsten Hall-of-fame-Gedenkdreier erleben durfte, fiel mir ein, dass wir ja noch zwei weitere Basketbälle zu Hause liegen hatten. Und als ich im Auto beim Davonfahren mitbekam, wie Joe schon wieder ausgerutscht war und daraufhin laut lachend den nächsten Märchen-Dreier mit einem alten Basketball versenkte, freute ich mich darüber, dass dieser wohl künftig wieder etwas öfter benutzt werden würde.

Kategorien
Familie

Trash Talk

PROLOG
Er: 1,12 Meter
Ich: 1,83 Meter

SZENE
Also ein Wettkampf. Ein kleiner zwar, unbedeutend und wenig aussagekräftig. Aber: Ein Wettkampf. Mann gegen Männchen. Ein Korb, ein Ball, eine Regel: Zwei Freiwürfe; wer mehr trifft, hat gewonnen. Es ging um nichts, um nichts Geringeres als die Ehre. Es gab einen Sieger und, was viel entscheidender ist, einen Verlierer.

Denn er hasst verlieren.

Er lungert beim Fußballtraining lieber halbe Ewigkeiten im Tor herum, als im Mittelfeld Gefahr zu laufen, zufällig den Ball zu verlieren. Er lässt seine Schwester lieber allein videospielen, weil er um ihre fingerkoordinative Überlegenheit weiß. Er trainiert sich in der Kunst des Memory offenbar lieber mehrere Stunden am Tag, nur um seine Eltern regelmäßig höchst entspannt abzocken zu können. Er mag eben viel lieber gewinnen.

schuppenkorb

Daher hatte ich für einen Moment überlegt, wirklich so kurz vor dem Abendbrot noch ein Freiwurf-Battle mit ihm austragen zu wollen. Wir hatten locker ein paar Körbe zusammen geworfen, Pass-Rückpass-Wurf, ganz easy, die Stimmung war prächtig; selbst die sonst unbeliebte Hochgeh-Ankündigung die letzten Würfe jetzt hatte er gutgelaunt mit einem typischen Na wenn es denn unbedingt sein muss erwidert. Warum also diese kleine Basketball-Idylle durch einen übermütig angesetzten Mini-Wettkampf unnötig gefährden?

Er könnte schließlich verlieren.

Diese Art Abwägen kommt nicht selten vor. Er muss es lernen, ja, aber auch Eltern haben mal ein Recht auf Ruhe. Jedoch ich wagte den Wettkampf und warf ihm mit einem sanft herausfordernden Du fängst an! den Ball zu. Er fing, stellte sich an die flink in den Sand gezogene Linie. Und warf: einen daneben, einen rein. Dann ich: einen rein, einen daneben. Unentschieden, nochmal jeder zwei.

Ich beobachtete seine Aufgeregtheit, das Kind war fixiert auf den Korb und total erpicht darauf, seinen Vater zu besiegen. Der gesamte Inhalt diverser Entwicklungserklärbuchkapitel sammelte sich in diesem Moment in meinem Sohn. Er warf – daneben. Die drohende Niederlage verfinsterte seine Miene, jetzt ein falscher Witz meinerseits, und mein Sensibelchen liefe wohl wütend zu Mami. Ich verzichtete gnädig und sah den zweiten Wurf glücklich ins Netz plumpsen.

Okay, dachte ich, gestalten wir die Sache noch etwas spannender. Mein erster Wurf – daneben. Mit Absicht. Nach dem zweiten, erfolgreichen, würde ich schließlich im dritten Durchgang gewinnen, man kann ja nicht immer gewinnen, mein Großer, du musst doch nicht traurig sein, es ist nur ein Spiel, es gibt doch Wichtigeres. Und das nächste Mal gewinnst du, versprochen. Er würde wieder etwas dazugelernt haben.

Also ran an die Linie. Der Korb war etwa anderthalb Meter entfernt, knapp über Augenhöhe an die Schuppentür gehängt. Der Ball war recht klein und schön griffig, der Korb scheunentorbreit. Ich konnte gar nicht anders als treffen, mit geschlossenen Augen hätte ich wohl sieben von zehn versenkt. Ich prallte den Ball auf, einmal, zweimal, dreimal, viermal, die Show stimmte. Ich federte aufreizend lange in den Beinen, peilte das Ziel an, blickte zu ihm, blickte zum Korb, atmete aus, und wollte gerade werfen.

Wirf, Kleiner!

Es war der perfekte Zeitpunkt. Es waren die perfekten Worte. Ich blickte wieder zu ihm und sah, dass es auch der perfekte Gesichtsausdruck war. Es war der perfekte Trash Talk. Ich muss in dieser Sekunde ziemlich belämmert ausgesehen haben, er grinste und machte nicht den Fehler, jetzt noch etwas hinterherzusagen. Die beiden Wörter waberten zwischen mir und dem Korb, ich konnte nur noch an diese Frechheit denken, ich warf, ich traf nur den Ring.

Er hatte gewonnen. Und seine Lektion für den Abend gelernt.