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Hinfallen, aufstehen, Stutzen richten, weiterspielen

Es gibt Millionen Fußballspieler in Deutschland. Nicht wenige machen sich in jungen Jahren Hoffnungen auf eine große Karriere. Doch was, wenn sich abzeichnet, dass das nicht klappt? Tja, dann fängt man eben neu an – und wird Nationalspieler.

Das Buch "Nachspielzeit" von Timo Heinze

Im Januar 1999 nahm der zwölfjährige Timo Heinze beim 33. Fußball-Knabenturnier in Neubrandenburg den Preis für den besten Angriffsspieler entgegen. Zuvor hatte er seine Mannschaft, die D-Junioren des FC Bayern München, im Finale des renommiertesten Hallenturniers Deutschlands in dieser Altersklasse zum Sieg geschossen. Ein voller Erfolg für den Jungen aus Rosenheim, 3000 Zuschauer feierten ihn, eine große Karriere stand ihm bevor.

Im September 2008 kam der 22 Jahre alte Timo Heinze beim Abschiedsspiel von Oliver Kahn noch für einige Minuten auf den Platz. Es spielte der FC Bayern gegen die deutsche Nationalmannschaft, und Heinze ersetzte auf der Bayern-Seite den angeschlagenen Massimo Oddo. Er war wohl mächtig aufgeregt, spielte einen mittelmäßigen Pass auf Miro Klose und nannte hinterher seinen Auftritt „die aufregendsten sieben Minuten in meinem bisherigen Leben„.

Im November 2012 konnte der 26-jährige Timo Heinze seinen Namen erstmals in einer Buchhandlung lesen. Nachdem er sich bei den Bayern nicht durchgesetzt und auch in anderen Teams nicht Fuß gefasst hatte, war seine Profi-Karriere vorbei. Heinze begann ein Studium, reiste und schrieb seine Erfahrungen im Fußballgeschäft auf. „Nachspielzeit“ hielt sich sechs Wochen lang in den Bestsellerlisten.

Am kommenden Wochenende will sich Timo Heinze mit 30 Jahren in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielen. In Duisburg treffen sich die besten Futsal-Kicker des Landes, um sich auf das deutsche Länderspieldebüt in dieser hierzulande noch jungen Fußball-Variante am 30. Oktober gegen England vorzubereiten. Und der Mann, der am Tollensesee bei einem Hallenturnier seinen ersten größeren Erfolg zelebrierte, hat gute Chancen, knapp 18 Jahre später ebenfalls in einer Halle deutsche Fußballgeschichte zu schreiben.

Und wer noch etwas mehr wissen will: Den Weg Timo Heinzes vom Bayern-Talent bis zum Futsal-Nationalspieler hat Stefan Kühlborn für fussball.de ausführlich beschrieben.

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„Wir können nicht immer nur vom Schicksal abhängig sein. Das ist in Zukunft nicht mehr tragbar.“

Ihr kuckt nachher auch brav die Europapokal-Auslosung? Diskutiert, ob nun PSG – Paris Saint-Germain​ oder Atlético de Madrid​ der bessere, weil leichtere Bayern-Gegner gewesen wäre und warum der VfL Wolfsburg​ gegen Manchester City FC​ keine Chance hat und weshalb Borussia Dortmund​ sowieso ins Finale kommt?

Gott, seid ihr doof!

Habt Ihr nicht in dieser Woche Eure Erleuchtung erfahren? Gelernt, um was es im Fußball, ach was: im Leben! eigentlich geht? Euch sagen lassen, wie man mit spontanen Unwägbarkeiten – wie zum Beispiel Viertelfinal-Auslosungen – umgeht? Wie man Dingen, die nun mal passieren dann und wann, optimal begegnet?

Und nein, wir reden nicht vom grandiosen Achtelfinal-Rückspiel-Kampf des FC Bayern gegen Juventus, einem einfach nur großartigen Fußballspiel mit allen dazu nötigen Ingredienzien, als da wären: Spannung, Fehlentscheidungen, Tore, Rudelbildung, Gefühle auf dem Platz, Verlängerung, Führungswechsel – und Beobachter, die spontan begeisterter Anhänger einer Mannschaft werden, die ihnen bislang egal war oder die sie vielleicht so gar nicht leiden konnten.

Nein, davon reden wir nicht. Also nicht direkt. Denn unerkannt und nahezu ungewürdigt lebt im Dunstkreis dieser Mannschaft einer der größten, ja wenn nicht sogar der allergrößte Philosoph unserer Zeiten. Er hat im Euphorietaumel des profanen Weiterkommens in der UEFA Champions League​ größtmögliche Distanz bewahrt und nach dem Spiel wahre Worte gefunden. Er hat ein Problem erkenntnistheoretisch filetiert, das vor ihm schon viele erkannt und benannt haben, das aber noch niemand so wahrhaftig und schon fast erkenntnisschmerzend auf den aristoteleschen Punkt gebracht hat.

adidas RUMMENIGGE SUPER 2Also Vorhang auf und maximum respect von DGNA für die Worte der Woche, die, wenn sich der Vergleich nicht verbieten würde, auch einem Absinth-durchtränkten Brainstorming von Loriot​ hätten entspringen können. Sie sind die einzig wahre Waffe gegen alle nervigen Auslosungen beim Fußball und überhaupt alles Chaos dieser Welt. Danke, o du Phussball-Philosoph, danke, Karl-Heinz Rummenigge​:

Was mir dabei nicht gefällt: Wir sind einfach alle abhängig vom Schicksal. Aber ich muss offen und ehrlich sagen: Irgendwann reicht’s mir mit dem Schicksal. Wir können nicht immer nur vom Schicksal abhängig sein. Das ist in Zukunft nicht mehr tragbar.

Foto: Adifansnet via Flickr unter CC-Lizenz by-sa

Zuerst erschienen auf Du gehst niemals allein.

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Bayern München – Juventus Turin 4:2 n.V.

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Und dann war da dieser spezielle Moment, als, kurz nach dem Ausgleich in der Nachspielzeit im Rückspiel eines #Championsleague-Achtelfinales, zu Beginn also einer entscheidenden Verlängerung im Kinosaal bei der Live-Übertragung der Partie FC Bayern München gegen Juventus​ auf der Leinwand der Hinweis erschien, dass der Empfänger geneigt sei, sich in zwei Minuten automatisch abzuschalten, ungeachtet auch der folgenden unflätigen Beschimpfungen der gleichermaßen euphorisierten wie alkoholisierten Zuschauer, die nur unter Aufbringung der letzten Brocken Rest-Vernunft davon abzubringen waren, mit einer engagiert geworfenen Leerbierflasche das zu vollbringen, was eigentlich anderer Leute Job gewesen wäre, nämlich den „Nein“-Button auf dem Digital-Dialog zu betätigen.

Doch nach zwei Minuten wurde es dunkel, und die Lage eskalierte.

Kurz nachdem sich der Mob formiert, bewaffnet und auf einen martialischen Slogan geeinigt hatte, hatte der Empfänger offensichtlich mit dem Kinobetreiber einen Verlängerungs-Deal ausgehandelt – und es ward ein Bewegtbild. Der erste Bayern-Angriff in der Verlängerung lief, das letzte Murren wurde mit Nacho-Resten erstickt, und der Rest ist Europapokal-Geschichte.

Zuerst erschienen auf Du gehst niemals allein

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Auf dem Trampelpfad zum Titel – Manuel Neuer

Foto: Saadick Dhansay via Flickr unter CC-Lizenz by-nc

Neben den Langzeitverletzten dürfte Torwart Manuel Neuer der deutsche Nationalspieler bei der WM mit der wenigsten Spielpraxis sein. Spielpraxis nicht im Sinne von absolvierten Minuten, sondern von: Dinge tun. Manuel Neuer wird zu einem großen Teil der dann zurückliegenden Saison nicht sehr viel mehr getan haben, als seine Spieleröffnungs-, letzter-Mann- und Rückpass-Skills zu verbessern.

Das ist gar nicht weiter schlimm, denn diese Fähigkeiten werden zumindest in den ersten WM-Spielen durchaus auch gefragt sein. Aber ich habe jetzt schon einen großen Respekt vor Neuers Trainingsarbeit beim FC Bayern, die neben allem anderen auch diese gewisse Wettkampf-Spannung, -intensität und -härte simulieren muss, die in den meisten Spielen schlichtweg fehlt.

Anbei der Arbeitsnachweis von Manuel Neuer beim Hinspiel des Champions-League-Viertelfinales gegen Manchester United:

3. Ball im Bayern-Tor. Neuer reagiert cool – es war vorher abgepfiffen worden.
9. Doofer Rückpass, Neuer haut das Ding gezwungenermaßen ins Seitenaus und sieht eher so mittelelegant aus dabei.
16. Rückpass. Neuer flankt unter Bedrängnis mit links weit hinter die Mittellinie exakt auf Alabas Kopf.
28. Erste Ermüdungserscheinungen bei Neuer: Der Pass auf Thomas Müller gerät etwas ungenau.
32. Neuer hält einen Schuss: halbscharf, direkt auf ihn gezielt; er darf dafür nicht mal hinfallen. Menno.
36. Eine lange United-Flanke pflückt Neuer vor Rooney aus dem Spiel. Viel Fantasie vorausgesetzt konnte der Bayern-Torwart in dieser Situation die Gefahr dumpf erahnen.
40. Und das macht dann die Weltklasse aus: Plötzlich steht ein einsamer Angreifer direkt vor Neuer, ein Lupfversuch, nicht mal schlecht, und dann ein Manuel Neuer, der sich nicht wie ein unterwürfiger Welpe auf den Rasen schmeißt, sondern abwartet und dem Ball mit einem Reflex den Weg zum sicheren Gegentor verwehrt.
45. Neuer darf zum Aufwärmen in die Kabine.

Wenn das so weitergeht mit diesen Bayern, müssen sich Weltklasse-Torhüter künftig gut überlegen, an die Isar zu wechseln. Kaum was los in seiner Nähe, und wenn, dann nur Gedaddel. Geld, Erfolge und Rückpässe sind ja nicht alles. Aber Neuer hat das Bällehalten nicht verlernt, sein Reflex war supergeil.

52. Wieder eine weite Flanke, Neuer köpft sie voll enthusiastischem Bewegungsdrang ins Seitenaus.
58. Tor für Manchester durch einen Kopfball nach einer Ecke. Scharf und platziert, der chancenlose Torwart reagiert nicht. Für diese Momente wird Neuer bei den Bayern gut bezahlt: Kaum den Ball gesehen geschweige denn in den Händen gehalten, geht ein so ein Ding dann mal rein.
61. Neuer rettet hellwach gegen einen konternden Engländer.
67. Ausgleich. Manuel Neuer hatte bisher jede halbe Stunde eine Torwart-Aktion.
79. Manuel Neuer instagramt heimlich mit einem Geheimsmartphone, das er für solche Fälle in seinen Handschuhen gebunkert hat. (Natürlich nicht. Hochprofessionell konzentriert er sich aufs Spiel und leitet Rückpässe weiter.)
94. Nach einer Gelb-Roten gegen Schweinsteiger räumt Manuel Neuer zeitschindend lieber Wurfgeschosse aus dem Strafraum, als das Spiel fortzusetzen. Der Schiedsrichter hat Mitleid und pfeift ab.

Ich glaube ja, Manuel Neuer macht jetzt noch ein bisschen Workout, 15 Kilometer auf dem Ergometer und schmeißt sich nachher noch sieben Mal mit Anlauf und voller Wucht auf sein Bett. Und weil er das tut (und auch heute anderthalb mal gezeigt hat, was er kann), wüsste ich keinen viel Besseren für die WM – Spielpraxis hin oder her. Alles andere ist Korinthenzählen auf sehr hohem Niveau.

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Der bisherige Trampelpfad

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Auf dem Trampelpfad zum Titel – Toni Kroos

Das 1:0 von Toni Kroos im Champions-League-Achtelfinale der Bayern gegen Arsenal war ein hübscher Schuss, zweifellos. Doch hübsche Schüsse können viele. In diesem Fall wären 90 Prozent der Schießenden wohl erfolglos geblieben, wären sie nach dem Pass auf Lahm stehengeblieben. Toni Kroos hat aber weitergedacht: Was, käme der Ball von Lahm gleich wieder zurück? Ist doch alles recht frei hier, oder? Direktabnahme! Hmm, ungünstiger Winkel, trippel’ ich doch mal präventiv ein büschen Richtung Spielfeldmitte, und wenn jetzt … BÄMM!

Eine Petitesse, sicher, aber immerhin eine aus dem richtigen Spiel. Toni Kroos war Bayern München in diesem Spiel. Seine Pässe, seine Präsenz, sein Abwägen, seine Entscheidungen. Kein Leader, sondern ein Kopf. Einer, dem in diesem Spiel alle gerne den Ball anvertraut haben, eine Ballvertrauensperson, ein Bayernballbevollmächtigter. Der in den richtigen Momenten zudem einfach auch mal draufgehalten hat. Marc Andruszko vom Schlenzer-Blog staunte schon vor Jahren über Toni Kroos:

Herr Kroos, ich erin­nere mich nicht genau daran, was Sie mit dem Ball anstell­ten, aber ich weiß noch, dass die Erkennt­nis aus die­sem Spiel mich umhaute. Ich rief noch auf dem Weg aus dem Sta­dion zur U-Bahn-Station einen Men­schen an, der genauso fuß­ball­ver­rückt ist wie ich und sagte ihm ohne Umschweife: „Ich habe Toni Kroos gese­hen. Ich habe noch nie jeman­den so intel­li­gent spie­len sehen wie ihn.“

Nun ist es so, dass herausragende Spielintelligenz manchmal nur die erfolgreiche Schwester von Lauffaulheit, Blässe und Arroganz ist. Läuft’s mal nicht so rund, taucht Spielintelligenz in keiner Statistik, in keinem Spielbericht, in keinem Fazit auf. Nicht nur ihrer mecklenburg-vorpommerschen Herkunft wegen denke ich deshalb manchmal an Tim Borowski, wenn ich Toni Kroos sehe, gerade in seinen schlechteren Spielen. Auch Borowski war ja kein Kämpfer vor dem Herrn, sondern jemand, der ein Spiel lesen konnte, der seine Mannschaft dirigieren konnte und in seinen besten Partien die gegnerische gleich noch mit dazu. Und die Kopfball-Ablage auf Klose war genauso gewollt, ganz sicher.

Und deshalb wird Toni Kroos in Brasilien das deutsche Mittelfeld bereichern. Weil er gezeigt hat (und wohl noch ein paar Mal zeigen wird), wie Bollwerke aufzudröseln sind. Weil er einen Schuss hat. Weil er einer dieser „Heroen des Spiels“ ist, von denen der Trainer jüngst schrieb, die sich „im Nichts des Spielfeld-Zentrums“ stets zurechtfinden. Weil er auch mal Wucht kann, wenn er will. Wenn nicht, ist er allerdings auch ein Kandidat für einen taktischen Wechsel in der 65. Minute., um noch mal ’ne Runde Schwung aufs Feld zu bringen.

Was aber die Bayern und Toni Kroos betrifft, hat der Herr Schulze nach dem Arsenal-Spiel dazu schon alles gesagt:

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Der Trampelpfad bis jetzt

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Zeitenwechsel

Aller schlechten Dinge sind drei.

1999. Seine Mannschaft steht im wichtigsten Klubfinale der Welt. Sie geht in Führung, dominiert das Spiel, trifft das Aluminium, wichtige Spieler werden in Siegesgewissheit ausgewechselt. Er hat wenig zu tun, wähnt sich als Sieger, Erster, Bester. Diese Sicherheit wird er nie wieder haben. Immer wieder denkt er später an dieses Spiel und bläut sich ein, nie wieder so sicher zu sein, wenn er den Abpfiff noch nicht gehört hat, immer weiter zu machen. Er denkt an den Schock nach dem späten Ausgleich, der allerdings nicht lange währte, weil er durch ein nachspielzeitiges Fußball-Koma abgelöst wurde. Ich habe dieses Spiel mit einem echten Bayern-Fan erlebt und konnte anschließend mein Mitleid in Kilogramm messen.

2002.
Er ist der Beste des Turniers. Er hat seine Mannschaft mit einer konstant guten Leistung ins Finale gespielt, er ist die sichere Bank, derjenige, auf den sich alle verlassen können. Er hat sich auf dem Fußballolymp gesehen und in der letzten Partie selbst von den Stufen geschubst. Er hat ihn nicht festgehalten, diesen eigentlich festhaltbaren Ball. Es war der Anfang vom Ende, vom Ende dieses Spiels, dieser WM und seiner Hoch-Zeit. Er wurde wieder Mensch; und der Pfosten, an dem er schließlich konsterniert lehnte, hätte eigentlich für einen guten Zweck versteigert werden müssen.

2008.
Seine letzte Spielzeit. Er hütet das Tor der besten Mannschaft Deutschlands, auf seiner Abschiedstournee werden alle, Freunde und Feinde, versöhnlich. Sie gönnen ihm die Meisterschaft, sie gönnen ihm den Pokalsieg. Durch den Uefa-Pokal huscht das Team so durch, sein fatalistischer Ausflug in gegnerische Strafraumgestade rettet das Halbfinale. Dort ist Schluß. Eine in Form und Inhalt vernichtende Niederlage besiegelt seine internationale Karriere, vier Mal muss er den Ball aus dem eigenen Netz klauben. Ein Titan der alten Schule scheitert an einer russischen Gas-Mannschaft. Es ist ein Zeitenwechsel. Hätte man ihn gefragt, hätte er sich vermutlich eine legendäre Fußball-Schlacht in Barcelona, Manchester oder Mailand für sein europäisches Byebye gewählt. Falsch: Er hätte sich natürlich einen sicheren Finalsieg in Moskau erbeten. So wurde er mitsamt Riberoni und der halben Nationalmannschaft von einer souveränen Staatskonzern-Elf gedemütigt. Aber er wird es wie ein Mann nehmen, ganz sicher.

Auf Wiedersehen, Oliver Kahn.