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Melankomisch

Seelischer Zustand von Schwermut oder Traurigkeit, der in der Regel auf keinen bestimmten Auslöser oder Anlass zurückgeht.

Sagt das Lexikon. Leitet sich vom griechischen melancholia ab, was wörtlich Schwarzgalligkeit bedeutet. Schade eigentlich, dass sich der Begriff nie hat durchsetzen können. Na, du bist heute aber ganz schön schwarzgallig!

Heranwachsenden ist der Gemütszustand der Melancholie zunächst nicht ganz so einfach zu vermitteln. Schwermut kennen sie nicht, und Traurigkeit ist noch etwas, was schnell kommt und schnell wieder geht. Aber, Luise, was ist denn heute mit dir los?

„Gar nichts, Papa. Ich bin einfach so … bedrückt. Einfach so.“

Und so setze ich mich also mit wichtiger Miene auf den Bettenrand, das kauernde Wesen schaut leicht bedröppelt aus dem Fenster, ich nehme instinktiv vorsichtig seine Hand, wobei instinktiv hier durchaus auch bedeuten kann, dass ich das mal so im Fernsehen gesehen habe. Nach einem kurzem Räuspern führe ich mit bedeutsamer Stimme die neue Vokabel ein, leite das Kind vorsichtig in das weite Feld der Emotionen, erkläre dabei nicht zu viel, nicht zu wenig. So eine Melancholie komme eben manchmal, da könne man nichts machen, manche Menschen seien eben öfter melancholisch als andere.

Und dann, neulich, mirnichtsdirnichts der nächste Fall. Aber, Charlotte, was hast du denn? Das mit der Mathearbeit könne doch mal vorkommen und …

„Gar nichts, Papa. Ich bin traurig, aber ohne Grund.“

Ach je. Miene, Bettenrand, Hand, Räuspern, und dann … hören wir beide plötzlich Luise auf dem Flur herumtrompeten. Sie scheint einen Ausweg aus ihrer Schwarzgalligkeit gefunden zu haben, ihre Stimmlage lässt eher auf eine helle Grellgrüngalligkeit schließen. Voller Stolz auf Neugelerntes, voller kaum verhohlener Freude über den leichten Vorsprung auf ihre Schwester im Grundkurs Gefühlskunde, und mit bedeutsamer Stimme (wo sie die bloß her hat?) verkündet sie – es fehlt nur noch der dramatische Tusch aus dem Off – dem Rest der Familie den Stand der Dinge:

„Hey, alle mal herhören: Charlotte ist heute melankomisch!“

Und genau betrachtet ist melankomisch als Brückenform zwischen dem alltäglichen Mir ist heute irgendwie so komisch und einer ausgewachsenen Melancholie perfekt und vielleicht dann doch um einiges alltagstauglicher als die düsterdeutsche Schwarzgalligkeit.