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Aber ich will doch noch weiter zusehen!

HiFi-Master-Sets

Wertstoffhof, später Vormittag. Als ich ankomme, sind da schon – neben dem gewohnt muffligen Wertstoffverteilermann, etwas, was wohl alle Zeiten überdauern wird und ich deshalb in dieser Zeit beruhigend finde – ein Vater und sein Sohn. Der Lütte thront auf Papas Arm, während der Zeugs aus einem monströsen Mitsubishi-Pick-up holt und in die entsprechenden Container pfeffert.

Ich werde also barsch angewiesen, meinen Krempel an diesen, diesen und jenen Ort zu bringen. Auf meine schüchterne Nachfrage, wo das genau sei, ernte ich ein so zutreffendes wie  gesprächsabschließendes „Stehtdran!“ Ich werde Altholz los und etwas Sperrmüll, Elektrik und endlich mal wieder die ganzen Altbatterien und kaputten Leuchtmittel, die ja mit „Glühbirnen“ sehr viel hübscher benamst waren.

Als ich fertig bin, sehe ich, dass Vater und Sohn immer noch da sind. Ihre Arbeit haben sie erledigt, sie sind schon im Spaß-Modus. Der Kleine ist immer noch auf dem Arm des Großen, sie stehen neben einem beeindruckenden Müll-Laster, der einige Sofas erst kleinpresst und dann verschluckt. Dann gehen sie noch mal rüber zum Papp-Container, und der Vater redet und zeigt weit ausholend auf Dinge, offenbar erklärt er den Kreislauf unserer Welt am Beispiel von nicht mehr gebrauchen Kartonagen.

Das ist sehr schön anzusehen und geht noch einige Minuten so. Dann will ich aber los. Plötzlich geht das ein riesiges Geschrei los, alle Köpfe auf dem Wertstoffhof drehen sich in Richtung des Lärmursprungs. Es ist der Sohn, vielleicht vier, fünf Jahre alt mag er sein, der nun von seinem geduldigen Vater gebeten wird, in den Truck zu steigen, damit man jetzt nach Hause fahren könne. Das Nummernschild verrät irgendein Nest im Umland, wo vielleicht schon das Mittagessen wartet oder die Mutter oder etwas anderes, das einen weiteren Aufenthalt im Müllwunderland nicht weiter gerechtfertigt. Der Junge brüllt und schreit und zetert, dass es einem fast das Herz bricht und man geneigt ist, der Firma Lego alsbald eine Produktlinie „Wertstoffkreislauf“ vorzuschlagen.

Doch schließlich gelingt es dem Vater, seinen Sohn anzuschnallen, den Krach mit einem Autotürschließen zu beenden und nach einem kurzen Schulterzucken in Richtung der anwesenden Müllmänner mit seinem tieftraurigen Kompagnon davonzufahren.

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Kleines Drehbuch des Scheiterns beim Erwerb von Rauchwaren

Eine Dönerbude irgendwo in Neubrandenburg. Mittag ist schon vorbei, der Fleischspieß so gut wie aufgebraucht. Der Dönermann wischt seine Arbeitsfläche mit einem speckigen Lappen feucht ab und füllt die Schale mit dem Eisbergsalat auf. Aus dem Buden-Bildschirm plärrt ein Nachrichtensender aufgeregt irgendwas mit Trump und Putin.

Zwei Jungen kommen rein. Zu große Klamotten, die fast leeren Rucksäcke baumeln bis runter zu den Kniekehlen, einer bändigt seine halblangen Haare mit einem abgegriffenen Basecap, der andere muss seine Matte alle paar Sekunden mit einem energischen Kopfseitnicken beiseite schwingen, um überhaupt sehen zu können. Vor ihrem High-Noon-Saloon-Auftritt haben sie noch ihre Kippen extradeutlich auf den Fußgängerweg geschmissen; wenn da auch nur EINER ein falsches Wort gesagt hätte …

. . . . . . . . JUNGE 1
Entschuldigung, aber verkaufen Sie auch Zigaretten?
. . . . . . . . DÖNERMANN
Hmm …

Was für ein Auftakt! Mister Kuhl (mit Mütze) wählt die Taktik „besonders höflich sein“, es fehlte eigentlich nur noch eine angedeutete Verbeugung. Der Dönermann antwortet erst und dreht sich dann zu den beiden um, die sich kurz irritiert ansehen. Ganz offenbar hat sich ihre sorgsam zurechtgelegte Strategie gerade in Luft aufgelöst.

. . . . . . . . JUNGE 2
Ja … also, ähm, wir hätten dann gerne … also … Zigaretten …?!
. . . . . . . . DÖNERMANN
Aha.
. . . . . . . . JUNGE 1
Ja.

Mister Kuhl (ohne Mütze) hat offenbar sein Handbuch „Rhetorik for Dummies“ verlegt, er begleitet sein zögerlich vorgetragenes Anliegen mit demonstrativem Kuhkieferkaugummikauen. Großartig auch die klare Bestätigung von Mister Kuhl (mit Mütze), die offenbar nicht nur dem schläfrigen Dönermann, sondern auch den beiden Helden in Tapered Jeans gilt, die sich daraufhin mit einem erneuten Sicherheitsblick noch einmal vergewissern, dass sie definitiv jetzt hier sind, um Zigaretten zu kaufen.

. . . . . . . . JUNGE 1
… und?
. . . . . . . . DÖNERMANN
Wassund?
. . . . . . . . JUNGE 2
Ham wir doch schon gesagt: Wir möchten …
. . . . . . . . DÖNERMANN
Ja, weißisch. Aber welche Marke?
. . . . . . . . JUNGE 1
Ach so. Na ja: Marlboro.
. . . . . . . . DÖNERMANN
Aha. Normal oder Bigpack?
. . . . . . . . JUNGE 2
Jaja, normal eben.
. . . . . . . . DÖNERMANN
Gut.

Der Mann dreht sich um, nimmt seinen Lappen, wischt kurz umher und geht dann in den Nebenraum. Die Jungs sehen sich wieder an, Mister Kuhl (ohne Mütze) nestelt an der Hosentasche und holt die offenbar abgezählten Münzen heraus. Der Dönermann kommt wieder, jetzt hat er keine Zigarettenpackung, sondern einen sauberen Lappen in der Hand, mit dem er sogleich zwischen den Salatschalen herumwischt. Die Nerven der beiden schwinden im Sekundentakt. Der Mann sieht sie plötzlich direkt an.

. . . . . . . . DÖNERMANN
Aber Ausweise mussich sehen.
. . . . . . . . JUNGE 1
Ähh, wie bitte?
. . . . . . . . DÖNERMANN
Ausweise. Habt ihr?
. . . . . . . . JUNGE 2
Also … die Ausweise, ja, die hamwanich … hier …

Der Mann wischt nun die Fritteuse sauber und sagt kein einziges Wort mehr. Zwei zu junge Jungen stürzen betont raumgreifend aus der Dönerbude und müssen die offensichtliche Niederlage draußen erstmal mit lautem Plappern ungeschehen zu machen versuchen. Der Dönermann sieht ihnen nach, und für einen kurzen Augenblick umspielt ein wissendes Lächeln seinen Mund.

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Neubrandenburg Politik

In der elften Etage

Der Junge, der verschlafen die Tür öffnet und sich nebst seinem Fahrrad in den Morgen hinausschiebt, dürfte es nicht mehr pünktlich zur Schule schaffen. Oder hat er Ausfall? Im Vorflur Dutzende Briefkästen, einige mit einem verblichenen „Bitte keine Werbung!“-Aufkleber. Elfter Stock, da ist es, obwohl der Nachname am Telefon nicht ganz genau zu verstehen war.

Ein alter Mann kommt um die Ecke, und sein Gesicht verfinstert sich. Ein Fremder, der die Briefkastennamen studiert, das kann nichts Gutes bedeuten. Hätte er nicht schon spürbar dem Klaren zugesprochen, hätte es vielleicht zu einem unfreundlich herausgerotzten „Nawattsuhchtadenn?!“ gereicht, so bleibt es bei glasig-kritischen „Ich beobachte dich genau, Freundchen!“-Blicken.

Die Papiertüte ist bis obenhin voll mit Kinderwinterjacken. Die Zeit im Fahrstuhl nutzt der Verkäufer mit sentimentalen Erinnerungen an Schneeballschlachten, Schlittenfahrten und frostigrote Kinderwangen. In der obersten Etage geht die Tür auf, und es riecht nicht gut. Das letzte Mal, als der Verkäufer so einen Gestank in dieser Penetranz erfahren durfte, hatte er eine Altenpflegerin einen Tag lang bei ihrer Tour durch gottverlassene pommersche Dörfer zu alten, einsamen Dorfmenschen begleitet.

Sechs Wohnungen, doch es gibt keine Klingelschilder. Allerdings hat er sich die Wohnungsnummer gemerkt und drückt auf den Knopf. Nichts zu hören, doch nach ein paar Sekunden hört er Schritte, und die Tür öffnet sich. Er telefoniert auf arabisch, nickt dem Verkäufer kurz zu und streut ein „Moment, bitte“ in seine etwas aufgeregte Stimme. Dann geht die Tür wieder zu, dahinter schwillt der Wortstrom hörbar an, davor steht einer, der gebrauchte Jacken über Ebay-Kleinanzeigen verkauft hat.

Tür wieder auf, „Entschuldigung“ und „bitte reinkommen“, eine kurze Geste, doch bitte die Schuhe auszuziehen. Drinnen ein großes Durchatmen, die Quelle des Flurgestanks muss sich in einer anderen Wohnung befinden. Doch hier riecht es gut, die helle Auslegware muss gerade gesaugt worden sein, im Kinderzimmer sind die Betten gemacht, aus der Küche duftet es nach frisch aufgebrühtem Tee.

Ein kleiner Junge pest heran und lässt den Besuch fortan kaum einen Moment aus seinen großen Augen. Der Käufer bittet ins Wohnzimmer, wo schon eine Frau mit Kopftuch in einem langen, hellen Kleid wartet. Mitten in der kleinen Anbauwand thront ein großer Fernseher, es läuft das Morgenmagazin. Da steht noch eine kleine Truhe in dem Zimmer, ein Tischchen und ein Sofa, auf das sich der Verkäufer setzen soll.

Der Käufer übergibt zuerst den ausgemachten Geldbetrag und checkt dann die Ware, spricht dabei mit seiner Frau und hat immer ein halbes Auge auf seinen Jungen. Der holt sofort einen Ball aus der Plastekinderschatztruhe und wirft ihn herausfordernd in die Richtung des Verkäufers. Der wirft zurück und bekommt sogleich mit einem hingenuschelten „Alles okay. Vielen Dank!“ sein Aufbruchssignal zu hören.

Gern hätte er noch kurz mit dem Mädchen gesprochen, das am Tag zuvor den Deal am Telefon nahezu akzentfrei in die Wege geleitet hatte. Doch die dürfte jetzt gerade in irgendeiner Grundschule sitzen, denkt er, während er seine Schuhe wieder anzieht. Dann noch einmal kurz nicht durch die Nase einatmen, bis der Fahrstuhl endlich da ist.

Unten hat es der alte Mann gerade mal bis zur nächsten Straßenecke geschafft. Dort steht er, leicht an ein Straßenschild gelehnt, und sieht den Verkäufer mit versteinerter Miene an. Der überlegt schon, ob er den Mann ansprechen soll und worüber er sich wohl so ärgern mag, als er bemerkt, dass der Blick des Mannes nicht ihm gilt, sondern knapp an ihm vorbei auf ein nahes Gebüsch zielt. Das wird für ihn wohl kein guter Tag werden.

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Eier, wir brauchen Eier!

Eier, wir brauchen Eier!

„Moin.“
„Moin.“
„Wie immer?“
„Jo.“

Die Frau greift in den Kofferraum und holt die Ware heraus. Der Mann öffnet seinen Einkaufsbeutel und lässt die Packung mit einem geübten Handgriff darin verschwinden. Das bereits abgezählte Münzen wechseln fast zeitgleich den Besitzer und plumpsen klimpernd in die Geldbox.

Plötzlich kommen sie von überall. Zwei, fünf, bald mehr als zehn rotten sich hinter dem Auto zusammen. Fast ausnahmslos tragen sie Gesundheits-Sneakers, zu weite Billighosen und beige Funktionswesten; das Rentner-Flecktarn lässt die Situation deutlich harmloser erscheinen als sie ist – denn im Prinzip geht es hier um nichts weniger als einen Drogen-Deal auf offener Straße.

„Die nächste bitte!“
„Zwei Packungen. Undheilewennsgeht!“

Die Dealerin runzelt kurz die Stirn. Pampigkeit mag sie eher nicht, schließlich steht sie hier mitsamt ihrem weinroten Hyundai an vorderster Front, um die Gelüste der Leute zu befriedigen. Und das direkt neben der Kaufhalle, wo es den Stoff um einiges günstiger zu kaufen gibt. Doch die Menschen kommen zu ihr: Weil ihr Zeug besser ist, stärker wirkt, reiner ist; auch teurer zwar, ja – aber nur ihr Produkt schenkt den Abhängigen des Viertels zuverlässig den nächsten echten Kick.

Auf dem schmalen Grat der Halblegalität wird nun Packung um Packung vertickt. Die Besatzung eines vorbeifahrenden Streifenwagens schaut demonstrativ in die andere Richtung, zu oft schon haben sie den Straßenhandel einzudämmen versucht, zu selten wurden die Hintermänner gefasst, zu groß ist die Anzahl derer, die die freien Plätze schon am nächsten Tag einnehmen. Am Ende profitieren schließlich alle Bürger davon, wenn die Cholesterin-Junkies sich regelmäßig den nächsten Schuss setzen können.

Die Menschentraube ist kleiner geworden, der Kofferraum hat sich geleert, das Klimpern in der Geldbox klingt dumpfer; und keine zehn Minuten sind vergangen. Es ist erstaunlich: Nirgends stehen Öffnungszeiten, und doch waren sie alle auf einmal da. Vermutlich haben sie eine geheime Chat-Gruppe im Darknet, um sich dezentral und von den Ordnungskräften unbemerkt organisieren zu können. Sie sind bestimmt in freien Zellen organisiert: Fliegt eine auf, können die anderen weiterarbeiten. Und die Produzenten, die am Ende des Verkaufstages auf dem Drehsessel die weiße Katze streichelnd die pralle Münzkiste gnädig lächelnd entgegennehmen – die werden sowieso niemals erwischt.

Aber es geht eben auch nichts über frische Eier vom Land.

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Morgens halb zehn in der Kaufhalle

Shopping Carts

Zögerlich schiebt die alte Frau mit dem silbergrauen Zopf den Einkaufswagen an das Gemüseregal. „Hallo, guten Morgen!“, sagt sie leise zu den beiden Verkäuferinnen, die gerade hektisch zwei mannsgroße Stapel Paletten mit frischer Ware verteilen. „Guten Morgen“, antwortet eine und lächelt der anderen kurz zu. Ein wissender Blick, die beiden scheinen die Kundin schon zu kennen.

„Sie sind doch immer so nett hier“, flötet die alte Frau, „ich will sie auch gar nicht weiter stören.“ Doch natürlich stört sie die beiden, die gerade in offensichtlicher Discounter-Zeitnot mit geübten Griffen Zucchini, Auberginen und Bio-Gurken herumräumen. Mittendrin lächelt die eine mit den blonden Haaren die Kundin an und fragt sie freundlich: „Na, wie können wir denn helfen?“

Das ist offenbar eine sehr gute Frage, denn die alte Frau am Gemüseregal muss darüber eine Weile nachdenken. Währenddessen sind schon wieder zwei Paletten Obst geleert, die Stapel schrumpfen. „Vielleicht könnten Sie mir mal etwas helfen“, schlägt die Kundin vor und zieht die Augenbrauen nach oben zu einer vorsichtig fragenden Miene. „Na klar“, antwortet die Blonde und räumt weiter.

„Ich hätte gern …“, hebt die Alte an und atmet mit nun traurig gesenkten Lidern aus. Die Kommunikation fällt ihr schwer, es kostet sie einige Mühe, um schließlich kurzatmig fortzufahren: „… ein bisschen Petersilie.“ Ihre rechte Hand simuliert eine astreine Zeitlupe und zeigt schließlich auf die Kräutertöpfe, die sich direkt neben ihr, aber deutlich oberhalb ihrer Reichweite befinden.

Die Blonde macht zweieinhalb schnelle Schritte, reckt sich kurz, reicht der Frau die Petersilie und räumt sofort weiter. Die Kundin nimmt den Topf entgegen und freut sich stille mit einem sanften Lächeln – aber nicht über die Ware, sondern über die Empathie der beiden Jüngeren, die nach wie vor emsig Waren in die Regale räumen und sich nun gegenseitig mit einem breiten Lächeln anspornen.

* * *

Zögerlich schiebt die alte Frau mit dem rotgefärbten Kurzhaarschnitt den Einkaufswagen an die Blumenkartons. Ihre massive Gestalt verhindert, dass die schmale Verkäuferin mit der Kurzhaarfrisur entweichen kann. „SAGENSEMAL!“, brüllt die Alte, und in der Kaufhalle wird es augenblicklich still. „HAMSENOCH SONE WEISSENFLANZEN?“ Wäre dies ein Western, würde der Tumble jetzt weeden.

Die Verkäuferin steht vor den Kartons mit den Pflanzen darin, die gerade heute im Angebot sind, also zigtausend Haushalten als ganz besonders preisgünstig empfohlen wurden. Sie antwortet diplomatisch: „Ich schaue gleich mal nach.“ Ihre Hände tauchen in den Pappe-Stapel in der Hoffnung, wenigstens auch nur eine der gewünschten weißen Pflanzen dort finden zu können.

„NADASDAUERT ABA GANZSCHÖN.“ Die rabiate Kundin legt vermutlich eher weniger Wert auf allgemeine Sympathie – fertich willse werden! Ihre Gestalt baut sich drohend vor der Verkäuferin auf. Die sucht zunehmend panisch nach diesen verfluchten Weißblütern. Sie gräbt im Pflanzenkarton, als gäb’s kein Morgen mehr. Dann, nach endlosen Sekunden des Wühlens, hat sie ihr Objekt gefunden.

„Hier!“ Die Alte zögert kurz und grapscht schließlich nach der Pflanze, als wollte sie eine übergriffige Mücke schnappen wollen. Sie bekuckt sie von links, sie bekuckt sie von rechts, und sie gibt sich endlich zufrieden mit der Beute ihres Vormittags. Missmutig pfeffert sie den Blumentopf in ihren Einkaufswagen und setzt die gnadenlose Jagd nach den Schnäppchen des Marktes unbarmherzig fort.

Die Verkäuferin schließt ganz kurz ihre Augen und atmet geräuschlos, dafür aber ganz besonders tief durch. Es ist noch nicht mal zehn Uhr durch, und sie hat bereits dieses Schrapnell bewältigt. Sie richtet ihre Gestalt, blickt herausfordernd in die Runde und setzt ihren Gang durch die Niederungen des Discounter-Kaufhallen-Verkaufs mit erhobenem Kopf und stolzem Antlitz fort.

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Der Bauarbeiterpausenschnack

Handy Manny vs. Bob the Builder (52/365)

Foto: JD Hancock via Flickr unter CC-Lizenz by

Seit einiger Zeit gibt es eine Baustelle irgendwo in Mecklenburg. Keine große, ’n büschen Buddelei, Dinge heilmachen und wieder zu das Loch. Ich komme regelmäßig dort vorbei und kannte die Jungs also schon, die da abwechselnd mit ihren Händen und schwerem Gerät umherfuhrwerkten.

Heute aber hätte ich sie fast nicht wiedererkannt.

Die Männner sind alles in allem typische Vertreter ihrer Zunft. Von kräftiger Gestalt mit subtiler Neigung zur Kugelbäuchigkeit verrät ihre Kleidung einen ausgeprägten Sinn für Pragmatismus, Bequemlichkeit und bewusster Distanz zur zeitgenössischen Baustellenmode. Sie wirken wortkarg, haben allerdings ein differenziertes und für Außenstehende vollkommen unverständliches internes Kommunikationssystem entwickelt, das zum größten Teil – und soweit wie ich es bislang entschlüsseln konnte – auf variierten Brummtönen in Verbindung mit passenden Kopfnickbewegungen basiert. Ein herzhaft gegröltes „EY DU ARSCH!“ gilt hingegen als zärtlicher Gipfel der Bauarbeiterzuneigung.

Nur heute, heute war das ganz anders.

Denn heute hatte die Baustelle Besuch. Angelockt von der kuhlen Mini-Baggerraupe kamen alsbald drei Jungs des angrenzenden Kindergartens mit ihren Plaste-Kippern, Spielzeug-Kränen und getunten Laufrädern angeflitzt. Sie präsentierten sich und ihren bunten Kinder-Fuhrpark stolz am Grenzzaun, direkt gegenüber den Bauarbeitern, die auf der anderen Seite gerade eine Pause machten.

Es war ein herrliches Bild: Hier drei kleine Jungs, da drei große. Die Großen hatten jeder eine Kippe im Mund und machten auch keinerlei Anstalten, das Rauchen in Gegenwart der Kleinen einzustellen. Die Kleinen plapperten wild durcheinander und bombardierten die Großen mit Fragen sowohl zum aktuellen Baufortschritt als auch zur generellen Situation in der Branche. Man höre ja so vieles, was sei denn nu dran an den Geschichten, und überhaupt: wie funktioniert diese Baggerraupe da eigentlich genau?

Das ging dann so eine ganze Weile. Frage, Antwort, Frage, Antwort, wieder und wieder, ein stetiges Hin und her. Es war ein großes Jungs-Gerede im Gange, die Frühlingssonne schien, es war ein Scherzen und Lachen, und es wollte gar kein Ende nehmen. Und ich wette, dass wenigstens einer der Arbeiter seit dem Wochenende nicht so viel und vor allem so angeregt mit seiner Frau geschnattert hat wie heute mit dem Baumeister-Nachwuchstrio. Und ich wette auch, dass den Männern die Arbeit nach dem spontanen Pausenschnack ein bisschen einfacher von der Hand gegangen ist.

Hunderprozentig sicher bin ich mir allerdings, dass der Talk am Zaun noch länger als diese zehn Minuten gedauert hätte, wenn nicht die Erzieherin gerufen hätte. Die kleinen Jungs flitzten brav zurück, die großen lachten ihnen kurz nach, sahen sich kurz an und schalteten dann mit einem leisen Seufzen wieder in den Brumm-Nick-Modus. Die Arbeit konnte weitergehen.