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Ein Tagebuch für das ganze Leben

tb

Regelmäßig in den Top Ten der guten Vorsätze: Mal wieder regelmäßig Tagebuch schreiben! Haben die meisten irgendwann mal gemacht, als sie noch jung waren und sich im Tanz der Hormone Zeit dafür nahmen. Heutzutage bleibt dafür neben dem ganzen Onlinegedöns erst recht keine Minute mehr übrig; und außerdem: Beherrscht überhaupt noch irgendjemand eine schöne und lesbare Schreibschrift?

Wer dennoch auf regelmäßige Lebensnotizen nicht verzichten möchte, ohne umständlich mit Stift und Heft und Tisch und Stuhl und Kerze hantieren zu müssen, dem sei das Prinzip Zehn-Jahres-Tagebuch hiermit allerwärmstens empfohlen.

Ihr kennt vielleicht die Dinger aus dem Buchhandel oder aus Fühl-dich-gut-Läden: Ein Tagebuch, angelegt auf zehn Jahre. Jedes Datum, also zum Beispiel der 22. Februar, bekommt eine Seite und kann für jedes Jahr neu mit ein paar Zeilen beschrieben werden. Feines Prinzip, aber – da eben gedruckt – endlich.

Ich mache das mittlerweile auch, und zwar seit 2007. Allerdings digital. Das hat den Vorteil, das man nach zehn Jahren nicht aus Platznot aufhören oder ein neues Buch anlegen muss, und – jedenfalls bei meiner Handschrift – alles auch später noch lesbar ist.

Alles, was es dafür braucht, ist ein schlichtes Schreibdokument, was ihr möglichst geschützt dort platziert, wo ihr regelmäßig Zugriff habt. Also: Festplatte, Cloud, eigener Server. Dann: einfach anfangen. Keine Formatierungen, nur Rohtext. Am besten eine Zeile Datum, ein paar Zeilen Tagebuchtext, eine Zeile Abstand.

Durchhalten! Niemand muss jeden Tag schreiben, aber regelmäßige Einträge garantieren, dass nach drei, fünf oder acht Jahren die Anzahl der Einträge bei einem bestimmten Datum schon soweit angewachsen sind, dass ein späteres Nachlesen (Was hat mich eigentlich heute vor sechs Jahren so angetrieben?) eine gar große Freude ist.

Und schreibt bloß abwechslungsreich! Es ist ein großer Spaß, noch Jahre später eigene Kurzgedanken zu intimsten Gefühlen, aktuellen Nachrichten, regionaler Wetterlage, Nerd-Kram, dem physischen Zustand des rechten Knies oder dem psychischen einiger Mitmenschen nachverfolgen zu können. Denkt dabei an die Kürze und die Würze: Ich schreibe jedes Mal genau fünf (lange) Zeilen und bin nach einer Minute fertig.

Das ist keine Literatur und auch nichts für andere, das ist Tagebuch und nur für einen selbst. Die Beschränkung auf die ganz kurze Form und der schnelle Vergleich über Jahre hinweg macht es aber zu einem täglichen Begleiter, den ich nicht mehr missen möchte.

Etwas strenger und technischer hat das vor ein paar Jahren mal Caspar Mierau in seinem Blog erläutert.

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Drei Anekdoten zum Thema Handschrift

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Vor einigen Tagen ist es mir zum ersten Mal passiert, dass eine Verkäuferin „Nein!“ gesagt hat. Ich wollte gerne etwas kaufen und dafür mit meiner EC-Karte bezahlen. Dafür gibt es dann üblicherweise zwei Methoden: Pin-Nummer eingeben oder unterschreiben.

Diesmal musste ich unterschreiben. Und ich tat das offenbar qualitativ nicht ausreichend. „Darf ich bitte noch Ihren Personalausweis sehen?“, fragte die Verkäuferin. Und als ich auf den Kassenbon sah, den ich mit meiner hingeklierten Alltagsunterschrift nicht gerade verschönert hatte, da wusste ich, was sie meinte.

Im Vergleich zu der Unterschrift, die ich vor einigen Jahren auf meiner EC-Karte zwecks Verifizierung hinterlassen hatte, wirkte die aktuelle Unterschrift wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die Verkäuferin hatte vollkommen recht: Sie musste den Unterschreiber als den rechtmäßigen Inhaber der Karte erst noch zusätzlich erkennen.

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Vor einiger Zeit feierte eine Kollegin ihren Geburtstag. Wir haben gesammelt und ein Geschenk besorgt und eine Glückwunschkarte gekauft. Alle haben gespendet und unterschrieben. Noch ein Grußtext, und fertig wäre das Geschenk.

„Sebastian, schreibst du bitte die Karte, du hast doch so eine schöne Handschrift.“

WAS? ZUM? TEUFEL???

Meine begrenzten Möglichkeiten, Bilder oder Text per Hand adäquat und künstlerisch wertvoll zu Papier zu bringen, sind in meiner Familie ein running gag. Meine Frau ist die stolze Inhaberin einer wunderschönen Handschrift. Ich dagegen besitze lediglich die Möglichkeit, mich auch mit Stift und Papier halbwegs verständlich auszudrücken. Aber die jüngeren Kolleginnen und Kollegen fanden, ich wäre noch am besten geeignet für so ein Schmuckvorhaben.

Meine „schöne Handschrift“ kann daher nur zwei Entwicklungen entsprungen sein: einer tagesaktuellen Geschmacksverirrung oder dem grundsätzlichen Verfall der Schreibschriftästhetik auf der Welt.

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Finnland macht einen Schritt weiter und legt in der Schule weniger Wert auf das Vermitteln von Schreibschrift (SZ, FAZ). Deutschland schreit auf. Wo kämen wir da hin? Was sagt die Omma auffem Dorf dazu? Und wenn das jeder machen würde?

Tja, was dann? Jeder darf sich gerne mal fragen, wann er zuletzt einen größeren Text per Schreibschrift verfasst hat – und ob dieser danach auch noch halbwegs leserlich gewesen ist. Die Menschen kommunizieren nicht mehr per Schrift, das ist ein Fakt.

Jetzt gilt es lediglich, die letzte Schlacht zu schlagen. Bringt es uns wirklich Vorteile, per Hand zu schreiben? Sind wir für diese Vorteile bereit, auf die Vorteile des Tippens und der digitalen Kommunikation zu verzichten? Und was bleibt eigentlich von der Handschrift übrig, wenn die Retro-Welle vorbeigezogen ist?

Mir macht es nach wie vor großen Spaß, mit der Hand zu schreiben. Den Lesern des Geschriebenen machte es zunehmend Mühe, die Schriftzeichen zu entziffern. Und: Die Menschen (zumindest ein Großteil) haben die Fähigkeit verloren, in freier Natur ohne Hilfsmittel ein Feuer zu entfachen.

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Die geneigte Leserschaft

ge|neig|te Le|ser|schaft, die; -, -en (ugs. u. scherzh. Ausdruck für die Benutzer von mobilen Endgeräten, die sich derart ausdauernd und impertinent über ihre Smartphones beugen und das Internet leerlesen, dass sie – und Mutti hat es immer schon gewusst – demnächst einen fiesen Lesebuckel bekommen werden. Die saubere Abtrennung zu Lesern, die aus Altersgründen ähnlich krumm daherkommen, ist gerade in Hotspots des demografischen Wandels wie beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern nicht immer einfach. Hiesiege Schreiber sollten demnach fleißig an beide Zielgruppen – also die Geeks und die Greise – denken, wenn sie künftig ihre Worte an die geneigte Leserschaft richten.)