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Opposition, Revolution – Hauptsache: dagegen!

Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Das fing schon an, als er in der dritten Klasse nicht so weit vorne und also lehrernah sitzen wollte. Er maulte so lange herum, bis er endlich in die letzte Reihe durfte und schließlich bis zum Abitur dort sitzen blieb. Das führte dazu, dass die gesamte Klasse irgendwann bei allen auch nur halbwegs konfliktträchtigen Themen automatisch irgendwann den Kopf nach hinten drehte, um zu registrieren, dass Dennis Martin Heideggg dagegen war.

Denn Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Klassenfahrt nach England? Und alle so: Yeah! Aber Dennis Martin Heidegg so: Och, nöö … Selten, dass er etwas wirklich vehement und leidenschaftlich ablehnte. Kaum, dass er seinen Widerstand begründete oder gar Alternativen anregte. Er war dagegen und freute sich über die Irritationen, die er noch lange bei weniger bewanderten Lehrkräften oder zartbesaiteten Mitschülerinnen hervorrief.

Weil: Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Stets überlegen lächelnd, wenn er sein „Nein“ kundtat, stets mit der rebellischen Attitüde eines Jahrhundert-Revolutionärs, stets mit der Überlegenheit eines Menschen, der glaubt, Dinge besser als alle anderen zu durchschauen und stringent seine Konsequenzen aus obskurien Exklusiv-Informationen ziehen zu können. Ein toller Typ, dieser Dennis. Er rauchte früh, fehlten noch Lederjacke, Sport-Cabrio und schneller Tod fürs Legendendasein.

Aber Dennis Martin Heidegg war dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip. Wenn man mal unter vier Augen mit ihm redete, zeigte sich das Bild eines intelligenten, mitfühlenden, differenzierten Menschenwesens. Doch stets, wenn irgendeine Art von Öffentlichkeit zugegen war, verschwand dieser private Dennis Martin Heidegg. Dann war er der Kritiker, der wider den Stachel löckte – und allein diese Formulierung ist so gestrig wie traurig und dennoch so zutreffend für den einzig wahren Durchblicker aus dem Jahrgang 1995.

Heute hat er wohl seinen Frieden gefunden, weit weg von hier. Ich hoffe es, denn ich mochte Dennis Martin Heidegg sehr, weil er nie aggressiv intervenierte, sondern immer mit einem lausbübischem Lächeln seine nicht selten lächerlichen Einwände vortrug. Er gab sich manchmal gar nicht sonderlich Mühe, seinen Protest mit irgendetwas zu untermauern. Komm schon, scheiß drauf! Fick das System, Alter! Ich bin dagegen, vastehste! Und du kannst nichts, aber auch gar nichts dagegen tun!

In der letzten Zeit habe ich öfter mal an Dennis Martin Heidegg denken müssen. An das Geschäftsprinzip „dagegen sein“. Ich habe so manches Mal fast meinen Kopf gedreht, um halb genervt, halb amüsiert dem renitenten Dennis in die Augen zu schauen und ihn zu fragen: „Im Ernst? Haben wir für solch einen Quatsch gerade wirklich alle Zeit und Lust? Und was soll eigentlich später mal auf Deinem Grabstein stehen? ,Ich war stets dagegen. Immer, und zwar aus Prinzip.‘ Echt jetzt? Na dann …“

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Neubrandenburg

Die POS 5 „Antonin Zapotocky“ / IGS Mitte in Neubrandenburg gibt es nicht mehr

(Klick auf die Bilder startet Bilder-Slideshow)

POS 5 Antonin Zapotocky

Anlässlich eines bevorstehenden Klassentreffens habe ich mich mal aufgerafft (okay, es waren ein paar Klicks, mehr nicht) und die im September 2011 und März 2012 geknipsten Bilder meiner Schule endlich in die Wolke schweben lassen. Da es seit der Schulzeit mit Menschen generell und Kindern im Besonderen hier etwas rarer geworden ist, brauchte niemand mehr einen derart überdimensionierten Kasten. Was dagegen immer nötiger wird: Wohnungen in Innenstadtnähe. Also: Abriss.

Abriss IGS Mitte

In der Neubrandenburger Innenstadt stand bis vor drei Jahren ein Gebäude, in dem ich zehn Jahre meines Lebens zu einem nicht ganz unbeträchtlichen Teil verbracht habe. Das Haus war kein schönes, aber auch keines der Standard-DDR-Baukasten-Schulen wie die POS 18 auf dem Lindenberg. Die Schule bot eine spacige Turnhalle, den Wunderwall gleich nebenan und Russisch-Unterricht ab Klasse drei. Sie trug den Namen des zweiten kommunistischen Staatspräsidenten der Tschecheslowakei und ersetzte nach der Wende das Wortungetüm „Polytechnische Oberschule“ mit dem Wortungeüm „Integrierte Gesamtschule“, nur dass eben der Staatspräsident ersatzlos gestrichen wurde.

Und wie das mit Schulzeiten eben so ist: Es war eine schöne Zeit. Es gäbe viel zu erzählen, aber das macht Opa dann lieber erst mal am Wochenende in analog. Ich freu’ mich schon.

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Sprache

Drei Anekdoten zum Thema Handschrift

Schrift

Vor einigen Tagen ist es mir zum ersten Mal passiert, dass eine Verkäuferin „Nein!“ gesagt hat. Ich wollte gerne etwas kaufen und dafür mit meiner EC-Karte bezahlen. Dafür gibt es dann üblicherweise zwei Methoden: Pin-Nummer eingeben oder unterschreiben.

Diesmal musste ich unterschreiben. Und ich tat das offenbar qualitativ nicht ausreichend. „Darf ich bitte noch Ihren Personalausweis sehen?“, fragte die Verkäuferin. Und als ich auf den Kassenbon sah, den ich mit meiner hingeklierten Alltagsunterschrift nicht gerade verschönert hatte, da wusste ich, was sie meinte.

Im Vergleich zu der Unterschrift, die ich vor einigen Jahren auf meiner EC-Karte zwecks Verifizierung hinterlassen hatte, wirkte die aktuelle Unterschrift wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die Verkäuferin hatte vollkommen recht: Sie musste den Unterschreiber als den rechtmäßigen Inhaber der Karte erst noch zusätzlich erkennen.

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Vor einiger Zeit feierte eine Kollegin ihren Geburtstag. Wir haben gesammelt und ein Geschenk besorgt und eine Glückwunschkarte gekauft. Alle haben gespendet und unterschrieben. Noch ein Grußtext, und fertig wäre das Geschenk.

„Sebastian, schreibst du bitte die Karte, du hast doch so eine schöne Handschrift.“

WAS? ZUM? TEUFEL???

Meine begrenzten Möglichkeiten, Bilder oder Text per Hand adäquat und künstlerisch wertvoll zu Papier zu bringen, sind in meiner Familie ein running gag. Meine Frau ist die stolze Inhaberin einer wunderschönen Handschrift. Ich dagegen besitze lediglich die Möglichkeit, mich auch mit Stift und Papier halbwegs verständlich auszudrücken. Aber die jüngeren Kolleginnen und Kollegen fanden, ich wäre noch am besten geeignet für so ein Schmuckvorhaben.

Meine „schöne Handschrift“ kann daher nur zwei Entwicklungen entsprungen sein: einer tagesaktuellen Geschmacksverirrung oder dem grundsätzlichen Verfall der Schreibschriftästhetik auf der Welt.

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Finnland macht einen Schritt weiter und legt in der Schule weniger Wert auf das Vermitteln von Schreibschrift (SZ, FAZ). Deutschland schreit auf. Wo kämen wir da hin? Was sagt die Omma auffem Dorf dazu? Und wenn das jeder machen würde?

Tja, was dann? Jeder darf sich gerne mal fragen, wann er zuletzt einen größeren Text per Schreibschrift verfasst hat – und ob dieser danach auch noch halbwegs leserlich gewesen ist. Die Menschen kommunizieren nicht mehr per Schrift, das ist ein Fakt.

Jetzt gilt es lediglich, die letzte Schlacht zu schlagen. Bringt es uns wirklich Vorteile, per Hand zu schreiben? Sind wir für diese Vorteile bereit, auf die Vorteile des Tippens und der digitalen Kommunikation zu verzichten? Und was bleibt eigentlich von der Handschrift übrig, wenn die Retro-Welle vorbeigezogen ist?

Mir macht es nach wie vor großen Spaß, mit der Hand zu schreiben. Den Lesern des Geschriebenen machte es zunehmend Mühe, die Schriftzeichen zu entziffern. Und: Die Menschen (zumindest ein Großteil) haben die Fähigkeit verloren, in freier Natur ohne Hilfsmittel ein Feuer zu entfachen.

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Politik

Alles gut

Es ist eigentlich ganz einfach. Der Zusammenhang hätte einem früher auffallen müssen. Pädagogen werden es vielleicht immer schon geahnt haben, aber ich bin mir ganz sicher: Ich weiß nun, wie man Weltfrieden macht. Denn war es nicht in den vergangenen Jahrzehnten im Allgemeinen erfreulich ruhig hier bei uns? Kein Krieg, keine blutige Revolution, keine marodierenden Banden, keine Pest. Stattdessen nur ein paar Auslandseinsätze, die Wende und BSE. Doch wie haben wir das nur hingekriegt?

Foto: Rupert Ganzer via Flickr unter CC-Lizenz by-nd

Soll ich sagen? Na gut. Das Rezept ist simpel: Gebt allen Kindern Trophäen! Dieses Gesetz wird beim hiesigen Nachwuchs immer stärker befolgt, und das ist schon das ganze Geheimnis. Denn es ist doch ganz deutlich: Die Tatsache, dass immer weniger Kinder bei uns aufwachsen müssen, die niemals in ihrer Kindheit auch nur eine einzige Urkunde, Medaille, Pokal oder wenigstens einen Spezialfairplaysonderpreis bekommen haben, diese Tatsache wird niemand leugnen, der in den vergangenen Jahren auch nur einmal bei einem Kindergeburtstag, Hort-Wettbewerb oder Fußballturnier dabei war.

Es lautet also das erste Gebot: Sobald sich beaufsichtigte Kinder miteinander messen, gibt es keine Verlierer. Alle bekommen Preise. Alle!

Wenn bei einem Hallenturnier die Zeit der Siegerehrung gekommen ist, rollt ein Kleintransporter rückwärts an die Eingangstür, und eine Menschenkette befördert die Paletten mit Medaillen, Pokalen und Urkunden zur Verteilstation. Denn natürlich wird unterschieden zwischen erster Platz, fast erster Platz und nicht ganz erster Platz, so ist es ja nun auch wieder nicht. Und für die Schießbudenteams hat man gottseidank genügend Extrapreise, so dass auch niemand mit leeren Händen verabschiedet werden muss.

Denn das wäre furchtbar, das ginge ja überhaupt nicht, das ist so nicht mehr vorgesehen. Kinder brauchen Bestätigung, Erfolgserlebnisse, Ansporn. Möglichst viel, möglichst oft. Das geht am allerbesten durch kleine Pokale, die dann zuhause zu den anderen drapiert werden können. So müssen die Kleinen nicht mehr so leiden wie der arme Urgroßvater, der noch heute die Insignie seines einzigen Kindheitserfolgs, das Sportabzeichen in Bronze, jede Woche akribisch reinigt und wieder zurück in die Vitrine legt.

Auch beim Dosenwerfen zum Kindergeburtstag zählt der olympische Gedanke. Dabeisein ist alles, und ja, es ist dennoch nicht immer ganz zu vermeiden, dass manche mit präzisen Gewaltwürfen alles mit einmal umsemmeln und manche aus zwei Metern kein Einfamilienhaus (mit Carport) treffen würden. Aber das ist ja das Schöne: Schnell allen ’nen Kaubonbon in die Hand gedrückt und Schwamm drüber!

Tut man das nicht, hätte die Wurf-Schande vielleicht noch Wochen und Monate nachgegärt, und wenn dann ein ruppiges Elternpaar noch unsensible Sprüche klopft, kann sich die Lebenslaufbahn des Gedemütigten schon mal bedrohlich in die allerdüsterste Schieflage neigen. Aber so haben doch alle ihr Nasch bekommen, es muss also keine Schmach gerächt, keine Pleite ausgemerzt, kein Versagen mehr getilgt werden.

Und noch die unmusikalischsten und schüchternsten Nuschelkinder werden von empathischen Erzieherinnen bei der Talenteshow im Hort sofort mit Aufmunterungen und Kleinspielzeug bedacht, auf dass sie bloß nicht enttäuscht werden. Lobet die Preise! Würde es nicht so arrogant wirken, müsste man eigentlich statt machtloser Außenpolitiker palettenweise Plastepokale, Urkundenbündel und Trostpreispakete in die Krisenregionen dieser Welt schicken.

Wir alle werden bessere Menschen, wenn wir in der Prägungsphase nur ausreichend belohnt werden, so sieht’s doch aus! Wir machen Weltfrieden, weil kein Kind mehr verlieren muss. Würde die Give-Away-Industrie das wissen und ordentlich expandieren – die Diplomaten dieser Welt könnten scharenweise freiwillige soziale Jahre absolvieren und sich anschließend wahlweise zum Mediator oder – das ist derzeit noch eine Marktlücke – professionellen Preisrichter umschulen lassen. Umso mehr Auszeichnungen, umso besser! Je blinki, desto gut. Alles gut!

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(Im Ernst: Ja, ich finde ein regelmäßiges, gerechtes und möglichst üppiges Belohnungssystem bei Kindern sehr gut. Und nein, ich bin kein Darwin-Fan. Ich frage mich aber manchmal, ob man nicht über das hehre Ziel, Kinder glücklich machen zu wollen, etwas hinausschießt, wenn man mit den Bundesverdienstorden nur so um sich schmeißt. Ich glaube, Kinder sollten sich fragen können, warum gerade sie jetzt ausgezeichnet wurden. Und nicht, warum gerade sie jetzt diesmal nicht.)

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Bild Neubrandenburg

Was passiert mit der ehemaligen POS 18 auf dem Lindenberg?

Diese Frage stellen sich nicht nur die Bewohner des Stadtteils im Süden Neubrandenburgs. Seit Jahren verwittern die Gebäude der ehemaligen Polytechnischen Oberschule 18 „Feliks Edmundowitsch Dzierzynski“ da so herum und sind alles andere als schön anzusehen, wenn man nicht gerade auf kaputte Plattenbauten steht.

In der Schule, in der ich 1983 eingeschult wurde, wohnen jetzt Fledermäuse, so steht es zumindest heute in der Zeitung. Ein Investor will dort ein paar Läden hinstellen und hat schon mal ausgerechnet, dass allein für die adäquate Umsiedlung der Tiere 40.000 Euro kalkuliert werden müssen. Immerhin hätten die Lindenberger dann mal endlich wieder eine Kaufhalle im Viertel.

Im September 2011 habe ich mal ein paar Bilder der alten Schule gemacht, heute dürfte es dort nur unwesentlich anders aussehen:

Rest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 Neubrandenburg
Rest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 Neubrandenburg
Rest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 Neubrandenburg
Rest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 NeubrandenburgRest der POS 18 Neubrandenburg

POS 18 Feliks Dzierzynski Neubrandenburg 2011, a set on Flickr.

Noch mehr Schulruinenbilder aus Neubrandenburg gewünscht? Hier geht’s zur Bildergalerie der mittlerweile abgerissenen Turnhalle der POS 5 „Antonin Zapotocky / IGS Mitte in der Neubrandenburger Innenstadt.

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Bild Neubrandenburg

Das Blechmonster an der Stadtmauer ist weg – Abbruch der Turnhalle IGS Mitte Neubrandenburg

turnhalle19

Die etwa 60 Meter lange Sprintstrecke neben der Halle – vergrast. Die Weitsprunggrube – ein Biotop. Das Parkett weg, die Basketballkörbe netzlos, der Eingang verströmt den Charme einer Industrieruine. Die Turnhalle der ehemaligen Integrierten Gesamtschule Mitte und der noch ehemaligeren POS 5 „Antonin Zapotocky“ in Neubrandenburg war der blechschimmernde architektonische Kontrapunkt des Sozialismus zum nur wenige Meter entfernten Mittelalter-Trutz der Stadtmauer und ihrer stadtstolzen Wiekhäuser.

Bilder der Halle vor und während des Abrisses lagern bei flickr oder in der folgenden Slideshow.

Abriss Turnhalle POS V