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Schiße

nur stuhlproben2Kinder sind schon was Wunderbares.

Und so anpassungsfähig. Ein magischer Wind muss ihm mal von irgendwoher den Allround-Allerwelts-Fluch Scheiße zugeflüstert haben, welcher – seien wir doch mal ehrlich – von seinem zischlautigen Start über den breiten Doppellaut bis hin zum scharfessigen Ende ein auch klanglich vorzügliches Alltagsfrustventil darstellt. Die Scheiße gefiel also und wurde benutzt. Also der Fluch. Und dann kommen diese beiden Eltern daher und – na klar, verbieten das frisch erworbene Fluchwissen sogleich.

Scheiße sagt man nicht.

Okay. Er erkennt unsere Überzahl in dieser Frage an und – sagt nicht mehr Scheiße. Streicht stattdessen einen Buchstaben, nehmen wir doch gleich das e, gibt’s eh doppelt. Und flucht seither mit Schiße.

Schöne Schiße.

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Trash Talk

PROLOG
Er: 1,12 Meter
Ich: 1,83 Meter

SZENE
Also ein Wettkampf. Ein kleiner zwar, unbedeutend und wenig aussagekräftig. Aber: Ein Wettkampf. Mann gegen Männchen. Ein Korb, ein Ball, eine Regel: Zwei Freiwürfe; wer mehr trifft, hat gewonnen. Es ging um nichts, um nichts Geringeres als die Ehre. Es gab einen Sieger und, was viel entscheidender ist, einen Verlierer.

Denn er hasst verlieren.

Er lungert beim Fußballtraining lieber halbe Ewigkeiten im Tor herum, als im Mittelfeld Gefahr zu laufen, zufällig den Ball zu verlieren. Er lässt seine Schwester lieber allein videospielen, weil er um ihre fingerkoordinative Überlegenheit weiß. Er trainiert sich in der Kunst des Memory offenbar lieber mehrere Stunden am Tag, nur um seine Eltern regelmäßig höchst entspannt abzocken zu können. Er mag eben viel lieber gewinnen.

schuppenkorb

Daher hatte ich für einen Moment überlegt, wirklich so kurz vor dem Abendbrot noch ein Freiwurf-Battle mit ihm austragen zu wollen. Wir hatten locker ein paar Körbe zusammen geworfen, Pass-Rückpass-Wurf, ganz easy, die Stimmung war prächtig; selbst die sonst unbeliebte Hochgeh-Ankündigung die letzten Würfe jetzt hatte er gutgelaunt mit einem typischen Na wenn es denn unbedingt sein muss erwidert. Warum also diese kleine Basketball-Idylle durch einen übermütig angesetzten Mini-Wettkampf unnötig gefährden?

Er könnte schließlich verlieren.

Diese Art Abwägen kommt nicht selten vor. Er muss es lernen, ja, aber auch Eltern haben mal ein Recht auf Ruhe. Jedoch ich wagte den Wettkampf und warf ihm mit einem sanft herausfordernden Du fängst an! den Ball zu. Er fing, stellte sich an die flink in den Sand gezogene Linie. Und warf: einen daneben, einen rein. Dann ich: einen rein, einen daneben. Unentschieden, nochmal jeder zwei.

Ich beobachtete seine Aufgeregtheit, das Kind war fixiert auf den Korb und total erpicht darauf, seinen Vater zu besiegen. Der gesamte Inhalt diverser Entwicklungserklärbuchkapitel sammelte sich in diesem Moment in meinem Sohn. Er warf – daneben. Die drohende Niederlage verfinsterte seine Miene, jetzt ein falscher Witz meinerseits, und mein Sensibelchen liefe wohl wütend zu Mami. Ich verzichtete gnädig und sah den zweiten Wurf glücklich ins Netz plumpsen.

Okay, dachte ich, gestalten wir die Sache noch etwas spannender. Mein erster Wurf – daneben. Mit Absicht. Nach dem zweiten, erfolgreichen, würde ich schließlich im dritten Durchgang gewinnen, man kann ja nicht immer gewinnen, mein Großer, du musst doch nicht traurig sein, es ist nur ein Spiel, es gibt doch Wichtigeres. Und das nächste Mal gewinnst du, versprochen. Er würde wieder etwas dazugelernt haben.

Also ran an die Linie. Der Korb war etwa anderthalb Meter entfernt, knapp über Augenhöhe an die Schuppentür gehängt. Der Ball war recht klein und schön griffig, der Korb scheunentorbreit. Ich konnte gar nicht anders als treffen, mit geschlossenen Augen hätte ich wohl sieben von zehn versenkt. Ich prallte den Ball auf, einmal, zweimal, dreimal, viermal, die Show stimmte. Ich federte aufreizend lange in den Beinen, peilte das Ziel an, blickte zu ihm, blickte zum Korb, atmete aus, und wollte gerade werfen.

Wirf, Kleiner!

Es war der perfekte Zeitpunkt. Es waren die perfekten Worte. Ich blickte wieder zu ihm und sah, dass es auch der perfekte Gesichtsausdruck war. Es war der perfekte Trash Talk. Ich muss in dieser Sekunde ziemlich belämmert ausgesehen haben, er grinste und machte nicht den Fehler, jetzt noch etwas hinterherzusagen. Die beiden Wörter waberten zwischen mir und dem Korb, ich konnte nur noch an diese Frechheit denken, ich warf, ich traf nur den Ring.

Er hatte gewonnen. Und seine Lektion für den Abend gelernt.

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Drei Hosen für ein Halleluja

Im Tierpark Berlin

Hose eins

Sie war hinüber, als das Lottchen fand, zu wenig Marmelade auf ihrem Brötchen zu haben.

Ein perfekter Anlass, um die bereits vorher schon dezent angedeutete Unlaune nun endlich auch akustisch ausdrücken zu können, mit anderen Worten: sie fing an zu jammerschreiweinen. Nun könnte man einwenden, dass doch der anwesende Vater mit einem gütigen Dann schmier halt noch hundertfuffzig Gramm obendrauf!, verbunden mit einem nachsichtigen Lächeln, dem Katzenkonzert Einhalt hätte gebieten können. Die einfache Antwort: Er hat. Doch wenn sie jammerschreiweinen will, dann jammerschreiweint sie. So einfach kompliziert ist das.

Ach so, die Hose: Es tönte also infernalischer Lärm, Luise fragte zum achten oder zwölften Mal nach, ob ich ihr bitteschön das Honigglas aufmachen könne und unterstrich ihr Anliegen mit permanentem Messer-auf-Küchentisch-Geklopfe, Charlotte wollte aber partout die Lauteste sein und legte noch ein paar Schippen Jammerschreiweinerei obendrauf. Papa also abgelenkt. Heinrich stand plötzlich auf seinem Hochstuhl, wo er doch darin sitzen sollte; zu allem Überfluss hatte er sich ein halbvolles Saftglas vom Tisch gemopst. Der frisch angezogene und vollkommen zugelärmte Vater hatte nun die Wahl: Saftglas oder Sohn festhalten. Klarer Fall, die Belohnung ergoß sich dann über das rechte Hosenbein und etwa ein Fünftel des Küchenbodens.

Na ja.

Hose zwei

Hielt ungefähr eine halbe Stunde.

Alle waren nun angezogen, es ging ans Aufhübschen. So Zöpfe machen ist morgens eine gute Gelegenheit, den Puls zu entschleunigen, das Tempo aus der Familie zu nehmen und den Übergang in die Kindergartenhektik harmonisch zu gestalten. Anders formuliert: Ich brauche da immer ganz schön lange für. Und da es in der Natur der Geschlechtersache liegt, ist der Sohn zu dieser Zeit eher unbeaufsichtigt.

Kein Problem, mittlerweile kenne ich seine hot spots und ungefähr auch die Zeit, in der ich diese regelmäßig aufsuchen sollte, um unsere Hausratversicherung nicht überzustrapazieren. So dachte ich nichts dabei, als ich ihn vom Badschrank weglotste, an dem er zuvor rumgefummelt hatte. Alles wäre gut gewesen, hätte nicht eine besonders penible Hirnregion Alarm geschlagen: „Der Schrank ist noch offen! Der Schrank ist noch offen!“ In der Tat, die Schranktür war nicht ganz zugegangen. Als ich nachsah, wusste ich auch, warum: Ein Babylotionfläschen war tückisch zwischen Einlegebrett und Tür platziert. Tür auf, Flasche fällt, platzt auf, Lotion auf Hose.

Na ja.

Hose drei

Machen wir es kurz.

Der Abschied nahte. Großes Kind in den Kindergarten, anderes Großes und Kleines blieben krank zu Hause. Noch in die Schuhe geholfen, Mütze auf, und ab dafür. Währenddessen permanent Heinrich vom rechten Hosenbein geschüttelt. Warum müssen sich Kinder eigentlich an die Beine von Erwachsenen hängen? Ist das evolutionär bedingt? Hatte das zu Höhlenzeiten mal einen praktischen Sinn? Wie dem auch sei, immerhin hatte Schnupfen-Heinrich nach der Hosenklammerei wieder eine saubere Nase, wogegen die rechte Knieregion gut durchschleimt war.

Fazit: Vielleicht sollte ich die Vormittage mit einer zerbeulten, zu großen und vollkommen mit Farbklecksern verzierten Maler- und Umzugshose bestreiten. Ich habe nur große Angst, dass ich mal vergessen könnte, mich vor dem Kindergarten oder Arbeit noch umzuziehen.