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Zeitenwechsel

Aller schlechten Dinge sind drei.

1999. Seine Mannschaft steht im wichtigsten Klubfinale der Welt. Sie geht in Führung, dominiert das Spiel, trifft das Aluminium, wichtige Spieler werden in Siegesgewissheit ausgewechselt. Er hat wenig zu tun, wähnt sich als Sieger, Erster, Bester. Diese Sicherheit wird er nie wieder haben. Immer wieder denkt er später an dieses Spiel und bläut sich ein, nie wieder so sicher zu sein, wenn er den Abpfiff noch nicht gehört hat, immer weiter zu machen. Er denkt an den Schock nach dem späten Ausgleich, der allerdings nicht lange währte, weil er durch ein nachspielzeitiges Fußball-Koma abgelöst wurde. Ich habe dieses Spiel mit einem echten Bayern-Fan erlebt und konnte anschließend mein Mitleid in Kilogramm messen.

2002.
Er ist der Beste des Turniers. Er hat seine Mannschaft mit einer konstant guten Leistung ins Finale gespielt, er ist die sichere Bank, derjenige, auf den sich alle verlassen können. Er hat sich auf dem Fußballolymp gesehen und in der letzten Partie selbst von den Stufen geschubst. Er hat ihn nicht festgehalten, diesen eigentlich festhaltbaren Ball. Es war der Anfang vom Ende, vom Ende dieses Spiels, dieser WM und seiner Hoch-Zeit. Er wurde wieder Mensch; und der Pfosten, an dem er schließlich konsterniert lehnte, hätte eigentlich für einen guten Zweck versteigert werden müssen.

2008.
Seine letzte Spielzeit. Er hütet das Tor der besten Mannschaft Deutschlands, auf seiner Abschiedstournee werden alle, Freunde und Feinde, versöhnlich. Sie gönnen ihm die Meisterschaft, sie gönnen ihm den Pokalsieg. Durch den Uefa-Pokal huscht das Team so durch, sein fatalistischer Ausflug in gegnerische Strafraumgestade rettet das Halbfinale. Dort ist Schluß. Eine in Form und Inhalt vernichtende Niederlage besiegelt seine internationale Karriere, vier Mal muss er den Ball aus dem eigenen Netz klauben. Ein Titan der alten Schule scheitert an einer russischen Gas-Mannschaft. Es ist ein Zeitenwechsel. Hätte man ihn gefragt, hätte er sich vermutlich eine legendäre Fußball-Schlacht in Barcelona, Manchester oder Mailand für sein europäisches Byebye gewählt. Falsch: Er hätte sich natürlich einen sicheren Finalsieg in Moskau erbeten. So wurde er mitsamt Riberoni und der halben Nationalmannschaft von einer souveränen Staatskonzern-Elf gedemütigt. Aber er wird es wie ein Mann nehmen, ganz sicher.

Auf Wiedersehen, Oliver Kahn.

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sl. Sport

Tippspiel zur EM 1988

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Bei der EM 1984 durfte ich mal ausnahmsweise den Anpfiff sehen, bei der EM 1992 waren andere Dinge auf Priorität 1 gesetzt, später dann war ich auf einmal erwachsen. So richtig angefixt mit dem Thema Fußballgroßturniere wurde ich hingegen mit der WM 1986 in Mexiko und aber vor allem mit der Europameisterschaft 1988, die passenderweise im Bruderstaate Westdeuschland stattfand.

Das betrifft ja vor allem die Vorbereitung solch eines Ereignisses: Fachliteratur studieren, Austausch mit Experten, praktische Anwendung des eigenen Wissens. In meinem Fall hieß das Sportberichte in der Jungen Welt lesen, in der Schule um den Titel „Wer kann unbekannte Fußballer am ausländischsten aussprechen“ wetteifern und – jawoll, Ergebnisse tippen. Das Internet schlummerte noch irgendwo im kapitalistischen Ausland, Arbeitskollegen besaß ich noch nicht, also musste Vaddern als Tippgegner herhalten.

Flugs eine A4-Tabelle erstellt, schön ordentlich mit Lineal, dann alles eingetragen, und schließlich einen dreiviertel Tag lang (those were the days …) über das vermeintlich einzig richtige Spielendergebnis gegrübelt. Ohne Erfolg, mein größter Erfolg bestand darin, das Finale in der Tendenz richtig und nur um ein Tor daneben getippt zu haben. Ich weiß noch, wie ich mit fortschreitendem Turnier immer missmutiger ob der offensichtlichen Fußballunkundigkeit wurde.

Sehr innovativ übrigens das ausgeklügelte pekuniäre System: 30 Pfennig minus für ein Tor Unterschied, 50 Pfennig minus für eine Tendenz Unterschied, plus 1 Mark für einen richtigen Tipp. Am Ende hatte ich vier Mark mehr Miese und musste Papa ein Bier ausgeben. Außerdem bemerkenswert: Auch in Ostdeutschland gab es bereits rege genutzte vierfarbige Kugelschreiber, ich hatte die BRD schon im Finale gesehen, und früher war alles besser außer meiner Handschrift.

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Sport

Wider die Schlechtpassklatscherei

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Portogesen haben es gestern getan, Schalker sowieso. Kaum ein Spiel, in dem es nicht passiert. Besonders ab Regionalliga abwärts ist das Ritual um so lustiger, je ernsthafter es vorgetragen wird, impliziert es doch ein gehobenes Verständnis von fußballtechnischen und -taktischen Feinheiten, was meist aber nicht unbedingt zu den Primärtugenden der Sportarbeiter in jenen Gefilden gehört.

Reden wir also über die Schlechtpassklatscher.

Man kennt das: Spieleröffnung, das Warten auf den richtigen Moment, und dann schlägt jemand einen Pass, zu dessen guten Eigenschaften vor allem gehört, gut gemeint gewesen zu sein. Kann passieren. Was – in meinen Augen zunehmend – stört, ist die einlullende Reaktion des vermeintlichen Passempfängers. Weil das Zuspiel in Zeit und/oder Raum missglückte, kommt der Stürmer oder Flügelläufer ein paar Schritte zu spät, in einigen hoffnungslosen Fällen ist es ein kompletter 100-Meter-Lauf, der Ball und Passempfänger trennt. Meist landet die Pille dann im Seiten- oder Tor-Aus, der Angriff ist futsch.

Und dann passiert es.

Der Adressat klatscht. Meist über dem Kopf, drei, vier aufmunternde Händepatscher lang. Dazu ein Hundeblick gen Zuspieler, hey, kommt vor, die Idee dahinter war allerdings großartig! Eine gern verwendete Modifikation ist der erhobene Daumen, der signalisieren soll, dass man sich auf dem richtigen Weg befinde, den es nun gemeinsam zu beschreiten gilt, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wahrscheinlich ist die grassierende Schlechtpassklatscherei auch eine Folge des trendigen Trainierens mit Sportpsychologen, die es dann permanent in die Fußballerköppe hämmern: „Die Mannschaft ist der Star! Seid positiv! Auch ein schlechter Pass hat etwas Gutes und kann, nein, muss beklatscht werden!“

Ich warte auf den Moment, in dem ein soeben wegen eines Abwehrpatzers überwundener Torwart seinen Vorderleuten den behandschuhten Daumen entgegenreckt und so Sachen sagt wie: „Es geht voran, Leute! Diesmal schon 50 Minuten bis zum ersten Gegentor, darauf müssen wir aufbauen. Und Heiner, die Absicht, die hinter deiner missglückten Grätsche im Sechszehner steckte, die verstand ich wohl. Bravo! Ich bin mit euch!“

Das Fazit: Es muss wieder mehr geschimpft werden im Fußball. Gerade und besonders mit den Spielern der eigenen Mannschaft. Permanent schlechte Leistungen zu beklatschen ist eine doofe Form von sportpolitischer Korrektheit, und ich wünschte mir, Olli Kahn könnte das vor seiner Pensionierung bitte noch mal klären. Danke schön.

(Zuerst veröffentlicht im Nachspiel-Blog)

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Musik Sport

Frank Schöbel: „Ja der Fußball ist rund wie die Welt“

So, genug der White Stripes. Es ist ja ein Wunder, dass der berüchtigte Basslauf bisher noch nicht die Neujahrsansprache der Kanzlerin eingeleitet hat, derart populärkulturell assimiliert ist er mittlerweile. Zum Rudelgucken braucht es neuen Stoff. Und was liegt für ein nordöstlich geerdetes Blog näher, als auf die ostdeutschen White Stripes zurückzugreifen.

Zugegeben, Aurora Lacasa ist nicht für ihre Fertigkeiten am drumkit bekannt und hat mit folgendem Hardrockbrett maximal als wie auch immer geartete Muse zu tun. Dennoch dürfte Ja der Fußball ist rund wie die Welt vor allem auch durch das mörderische Dreinotenriff am Anfang die Fanmeilen der Republik begeistern.

Entstanden ist das Werk anlässlich der deutschdeutschen Weltmeisterschaft anno 74, die der Schöbelfrank eröffnungsfeierlich einleiten sollte. Doch im Frankfurter Waldstadion durfte das Liedgut nicht gespielt werden, der Song war dem SED-Politbüro wohl zu rockig, also trällert Frank Schöbel am 13. Juni 1974 nur die B-Seite seiner Single („Freunde gibt es überall“) mit so bewegenden Textzeilen wie diesen:

Wo Ähren tanzen im Sommerwind, wo Baumwollfelder voll Blüten sind. Wo Hände pflanzen den jungen Reis, wo man das Menschenglück zu schmieden weiß. Freunde gibt es überall auf der ganzen Welt, Menschen die sich gut verstehn – und mit Dir Tag für Tag eine Straße gehen.

Auch schön. Aber gegen das hier stinkt es ziemlich an: