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Neubrandenburg

Jelernt ist jelernt

Suppengemüse, kleingeschnitten.

Parkplatz vor der Kaufhalle. Eine Frau packt ihre Einkäufe in einen weinroten Vectra und telefoniert nebenbei.

„Na ja. … Richtig. … Richtig. … Ja. … Richtig. Warte mal …“

Die Frau braucht beide Hände, um die H-Milch-Palette in den Kofferraum hieven zu können. Ihr iPhone legt sie kurz auf die Hutablage, bevor sie weiterreden kann. Sie telefoniert noch so wie früher, mit dem Telefon am Ohr, anstatt vor dem Mund oder gleich mit Bluetooth-Stöpseln.

„… Ja. Ja. Na ja. … Richtig. Ja. … Richtig. … Na dit kennwa doch als jelernte DDR-Bürger, wa?!“

Die Frau lächelt, aber nur kurz. Als sie meinen Blick bemerkt, reißt sie sich zusammen und konzentriert sich wieder auf die Tagespolitik.

„Ja. … Jenau! … Richtich! So isset. … Ja. … Na dann, machsma jut, ne!? Tschüss.“

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Medien

In Brüssow tanzte die Jugend mindestens einmal im Monat

Aus der Reihe, die bisher noch gar keine Reihe war und vielleicht auch nie eine werden wird, wenn sie es aber würde, dann mit dem Namen: „Perlen aus dem Stadtarchiv“.

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Wie gefragt ist eigentlich Jugendtanz?

Diese Frage stellte die „Freie Erde“ im Januar 1973, um sie anlässlich der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten auf einer halben Seite mit einem klaren „Sehr!“ zu beantworten. Und zugleich – im Rahmen des Möglichen – auch die dürftigen Angebote zu kritisieren:

Doch wie sieht es damit in Wirklichkeit aus? Vielerorts sind die Jugendlichen unzufrieden, weil eben nichts los ist. Die Verantwortlichen schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Es kommt zu keinen Ergebnissen. Und deswegen muß man diese Frage ganz offen stellen.

Nun, daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Im Artikel geht es dann vor allem ums Schwoofen in Brüssow in der Uckermark, das mindestens einmal im Monat in der Gaststätte „Seeblick“ organisiert wurde, „einem Schmuckkästchen, sehr einladend“. Davor hatten’s die Brüssower Partypeople nämlich nicht einfach:

Tanzveranstaltungen machten wir zwar öfter, aber es stand uns dafür nur ein Raum im Kreisbetrieb für Landtechnik zur Verfügung. Die Atmosphäre war überhaupt nicht schön, es standen dort leere Bierkästen umher. Und das war für uns Anlaß, unsere Veranstaltungen niveauvoller zu gestalten.

Und so sah es dann schließlich aus, das hohe Niveau im „Seeblick“: Ein Tisch mit XXL-Tischdecke, zwei Tische für die Lichtanlage, der Stereo-Schallplattenspieler schon aufgebaut und angeschlossen; und drumherum jede Menge Pilzkopf-Checker in Rollkragenpullis. Keine hässlichen Bierkästen weit und breit, dafür ein Aufpasser-Homie im weißen Kittel sowie Fenstervorhänge, deren psychotisierendes Muster vermutlich einen Großteil der damals üblichen Rauschmittel ersetzen konnte. Sicherheitshalber wurde dieses Bild dann auch nur schwarzweiß gedruckt:

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Fazit: Früher war alles immer schon ganz genauso, nur eben anders. Und: Ich bin schon gespannt, wie und wo ich im Jahr 2061 zufällig auf einen Bericht über heutige Jugendtanzveranstaltungen stoßen werde.

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Sport Sprache

Standardsituationen im Fußball und die DDR

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Es gibt ja generell nicht ganz so viele Dinge, die die DDR in die Deutsche Einheit einbringen konnte. Das Land stand ’89 kurz vor dem Staatsbankrott, liest man da immer wieder. Dann hatten die Leute kaum Zeit und noch weniger Nerven, sich von Mauerfall bis D-Mark zu besinnen und mal ’ne Inventur zu machen und nachzudenken, was ist Kunst und was kann weg. Wenn dann mal zu den einschlägigen Jubiläen flink Beispiele gesucht werden, findet man im Normalfall Produkte wie Rotkäppchen-Sekt, Bautz’ner Senf oder Nudossi, Wörter wie Broiler, Datsche oder Soljanka und dann vielleicht noch die Kindergärten-Dichte und den Grünen Pfeil.

Doch im Fußball?

Hans Meyer sitzt im Präsidium von Borussia Mönchengladbach seine Rente ab, Matthias Sammer hat das Haifischbecken Bayern München verlassen, und Toni Kroos wurde erst geboren, als die DDR schon hastig ihre Auflösung plante. Das jüngste 11-Freunde-Spezial zur DDR ist vergnüglicher Lesestoff für die Zielgruppe und hat sogar eine Neubrandenburg-Story, doch im Prinzip kannste auch da den „Opa erzählt vom Krieg“-Stempel raufpfeffern, und keiner könnte meckern.

Doch dann kuckste Tschämpjenslieg, und der Reporter reportiert begeistert von den Standards, den die Mannschaft so meisterhaft beherrscht, DIESE STANDARDS, LIEBE ZUSCHAUER! STANDARDS VOM ALLERFEINSTEN! Ein Beispiel aus dem Lehrbuch der Standardsituationen sei dieser Freistoß da eben gewesen, und dann denkste, wenn der Typ nochmal Standard sagt, flippste aber aus, und er sagt EIN SUPPASTANDARD!, und du willst eigentlich ausflippen, landest aber dann doch wieder nur irgendwo im Internet und erkundigst dich beflissentlich über die Herkunft der Fußballvokabel „Standardsituation“.

Und schwupps!, da sind wir dann schon wieder bei der DDR.

Der Begriff tauchte im Fußball erstmals in den 1970ern in der DDR auf. Im westdeutschen Fußball wurde der Begriff gegen Ende der 1980er Jahre übernommen.

Behauptet das Lexikon. Stichprobe im Spiegel-Archiv:

„Manndecker“, neben den „Standardsituationen“ die derzeit gängigste Kreation aus dem unerschöpflichen Reservoir deutscher Sportsprache, sind ganz offensichtlich wieder in.

Das wird im „Spiegel“ vom Dezember 1987 festgestellt, und vorher habe ich keine Fußball-Standards dort gefunden. Auch im Zeit-Archiv wird 1986 noch ein schnöder „langer Paß auf den Flügel und dann Flanke nach innen“ als Standardsituation bezeichnet. Im Rechtschreib-Duden taucht „Standardsituation“ erstmals 1986 auf. Über das 1988 erschienene Buch „Standardsituationen“ des Schriftstellers Eckhard Henscheid heißt es etwas muffigböse:

Der Wechselbalg stammt aus dem Sumpf der neudummdeutschen Sportreportersprache und bezeichnet – unter anderem – das, was ehedem Einwurf, Ecke, Strafstoß hieß.

Stichprobe im Archiv des „Neuen Deutschlands“, des früheren SED-Zentralorgans. „Zwei Standardsituationen zum Erfolg über Rumänien genutzt“, heißt es dort schon 1973, und das ist beileibe nicht der einzige Treffer in den Siebzigern. Wer die Möglichkeiten und die Muße hat, wird sicherlich noch frühere Fußball-Standards in der DDR-Schriftsprache aufspüren können.

Nur: Warum? Nun, „Standards“ fassen Dinge zusammen, die vorher mühsam haben aufgezählt werden müssen: Anstoß, Freistoß, Eckball, Einwurf. Nur logisch, dass sich der Begriff durchsetzt, der Mensch ist eben ein bequemer. Aber wieso entsprang die neue Bedeutung ausgerechnet im Osten Deutschlands? Die Antwort gibt eine Publikation der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich aus dem Jahr 2008.

In „Standardsituationen – Die universitäre Lehrveranstaltung als Fussballspiel“ (PDF) erklärt der Schweizer Historiker Christan Koller die Hintergründe. Er schlägt dabei einen Bogen vom Gefechtsdrill bei der Armee („… lag das fussballerische Training dabei im Trend sowohl der zivilen als auch der militärischen Didaktik …“) über Turntraditionen („Mit der Einübung standardisierter Bewegungsabläufe bei stehenden Bällen im Fussball wurde einerseits ein Stück alter Turnerkunst aufgegriffen“) bis hin zum „Wissenschaftlichen Sozialismus“, und konstatiert:

Disziplinen, bei denen standardisierte Spielzüge eine wichtige Rolle spielten und die sich deshalb im Geiste des «Wissenschaftlichen Sozialismus» analysieren und trainieren liessen, hatten in der Sportpolitik des «grossen Bruders» Sowjetunion seit jeher eine wichtige Rolle gespielt.

Kein Wunder also, so Koller, dass die Sowjets in Schach und Eishockey so gut waren. Und kein Wunder ebenso, dass in der DDR, wo einerseits die Sowjetunion in jenen Zeiten gerne als kulturelle Blaupause verwendet wurde und andererseits der Fußballsport aufgrund der bescheidenen Erfolge in den Siebzigern (Olympia-Bronze, -Gold und -Silber, das 1:0 von 1974, der Europapokal-Sieg des 1. FC Magdeburg) Konjunktur hatte, das sozialistisch Planbare, Messbare, Einübbare im so chaotisch-individuellen Fußball fleißig mit einer neuen Wortbedeutung hervorgehoben wurde.

Dass diese „Standards“ sportsprachlich auch sonst eine ziemlich gute Idee gewesen waren, zeigte sich allerdings erst ein Jahrzehnt später, als die Standardsituationen aus dem „Sumpf des Neudummdeutschs“ in den gesamtdeutschen Sportwortschatz einsickerten. Heute ist die Genese des Begriffs zwar zumeist unbekannt, seine Popularität aber dennoch ungebrochen. Und damit das hier nicht allzu trocken endet, habe ich mal aus dem aktuellen Weltfilmangebot einen besonders knuffigen Standard herausgefischt:

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Haus Ratgeber

Beamtentitsche

… heißt eine Soße, die zu Kartoffeln gegessen wird. Sie war ursprünglich ein typisches „Arme-Leute-Essen“, denn auch die einfachen Beamten waren relativ arm. In die Sauce kamen daher oft auch Speisereste. [Quelle: Lexikon]

Gab es früher bei uns auch regelmäßig, wenn’s mal schnell gehen musste. Scheint in Nordostdeutschland recht verbreitet gewesen zu sein, besonders offenbar in Berlin und im Anhaltinischen. Nur eben statt unter dem offenbar recht bekannten Terminus „Beamtenstippe“ unter dem Namen „Beamtentitsche“. Letzterer ist bei Fa. Gugel bislang ausschließlich in einer Schwarz-Weiß-Reklame der Speisegaststätte „Schützes Jägerstube“ in Calbe an der Saale aktenkundig geworden. Die Region scheint es offenbar recht deftig zu mögen, gibt es dort zum Sonntags-Brunch doch auch Bollentitsche und Calbenser Zwiebelsteak, abgerundet durch das Zwiebel-Speckkuchen-Dessert (Quelle: PDF, Sommerausgabe 2010 des Calbenser Blatts, Seite 15)

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Auf der schönen Seite „Kochen mit Hartz IV“ gibt’s das Rezept – unterlegt mit Henry-Maske-Musik – nochmal als „Beamtenditsche“. Aber auch hier: Nur ein Gugeltreffer. Schlimm, das.

Die verdienten Küchenkräfte von ErichsErbe.de haben das mal nachgekocht, das Rezept gibt’s hier oder eben in einer Netzkochecke Ihrer Wahl unter dem Suchwort Beamtenstippe; aber eben nicht unter Beamtentitsche. Der Youtube-Kanal heißt Ostdeutschkochen:

Apropos ostdeutsch kochen: Sebastian Saumselig Fiebrig hat für die deutsche Dependance von Buzzfeed mal eine Woche lang eben jenes getan, geknipst und aufgeschrieben, und hier ist das Ergebnis. Und Caspar Leitmedium Mierauf fragt an dieser Stelle, wie ein original DDR-Frühstück ausgesehen hat. Und dabei hat er offenbar schon einen Kollektiv-Irrtum aufgedeckt.

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Medien Sport

Torsten Gütschow und der Ost-Fußball in der Sonntagszeitung

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Torsten Gütschow war einer der besten Stürmer der DDR. Im nur einmal ausgetragenen Deutschland Cup schoss er für Dynamo Dresden gegen den Bundesliga-Meister Bayern München das Goldene Tor. Er blieb in Dresden, wurde dann noch türkischer Meister, kickte in West und Ost, trainierte in West und Ost; und zuletzt musste er die Trainerbank der TSG Neustrelitz verlassen, weil er nicht verhindern konnte, dass eine zur Hälfte ausgetauschte Mannschaft Fußballspiele verliert.

Warum Torsten Gütschow sowohl den Fußball in der DDR als auch den Weg des Ost-Fußballs nach der Wende ganz gut repräsentiert, habe ich in der heute erschienenen Sonntagszeitung des Nordkurier anlässlich des 25. Mauerfall-Jubiläums versucht aufzuschreiben.

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Neubrandenburg

1988 hatten sie noch Reserven: Jugendliche in Neubrandenburg

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Sie leben in einer für uns fremden Gesellschaftsordnung. Dennoch: Wir hatten keine Mühe, uns zu verstehen.

Im Mai 1988 ist ein Filmteam des SWR nach Neubrandenburg gekommen, um Jugendliche in ihrem Alltag zu filmen. Damals lebten hier etwa 85.000 Einwohner, das Durchschnittsalter betrug etwa 30 Jahre, was selbst für damalige Verhältnisse sehr wenig war und Neubrandenburg („eine kleine Großstadt, oder vielmehr eine große Kleinstadt“) zur damals jüngsten Stadt der DDR machte.

Herausgekommen ist der dreiviertelstündige Film „Wir ham’ noch Reserven – Jugendliche in der DDR„, den man in vier Teilen drüben beim SWR ansehen kann. Ohnehin aus zeitgeschichtlichen Gründen sehr interessant, machen den die vielen Bewegtbilder aus dem Neubrandenburg vor 26 Jahren zu einem wahren Schatz für alle, die zu der Stadt und ihren Jugendlichen schon länger einen Bezug haben.

Im ersten Film lernen wir in einem Physik-Kabinett Robert Peters aus der 9. Klasse der POS IX „Dr. Theodor Neubauer“ kennen. Die Leiterin des Polytechnischen Zentrums, Henny Riemer, kommt zu Wort. Gezeigt werden die VEB Gartenbaubetriebe mit ihren vielen Gewächshäusern im Tannenkrug. Und aus der voll retro gekachelten Blumenverkaufsstelle in der Innenstadt strömen erstaunlicherweise fünf Frauen, um die angelieferte Ware entgegenzunehmen.

Der zweite Film beginnt mit einem Einblick in die weite Welt der Jugendmode. Die Verkaufsstellenleiterin Christiane Schafft konstatiert beispielsweise, dass es immer noch große Bedarfslücken und viele Wünsche der Jugendlichen gibt, die sie nicht erfüllen kann, weil schlicht die Produktion nicht hinterherkommt.

Weiter geht’s mit einem Schwenk in den Plattenladen, und … das ist doch der gute, alte Cadillac Record Shop Stargarder Ecke Neutorstraße! Das ist ziemlich kuhl, in dem Schuppen habe ich Mitte der Neunziger mal gearbeitet, aber das ist eine andere Geschichte. Aber sogar meine damalige Chefin, Doris Lange, darf in dem Beitrag als „Objektleiterin Musikalien“ die geringe Auflagenhöhe von West-Lizenzplatten beklagen (ab 3:30). Hallo, Frau Lange, war ’ne tolle Zeit damals! Und ich find’s toll, dass Sie Ihr Markenzeichen, den bunten Lidschatten, über die Wende gerettet hatten. Wenn den jemand tragen kann, dann die Frau Lange, das ist mal klar.

Dann erfahren wir, dass Gärtnereifacharbeiterin Birgit eine Normerfüllung von 108 bis 110 Prozent vorzuweisen hat, wie ein Lehrlingswohnheim von innen so aussieht, warum dort keine Bilder aufgehängt werden durften, wie Outdoor-Kegeln so geht, dass die FDJ-Sekretärin der Lehrlinge ausgerechnet Bärbel Freiheit heißt und wer Heinrich Stiegelmeier ist.

Im dritten Film darf der ehemalige Leiter des Neubrandenburger Sportgymnasiums, Winfried Schneider, als Übungsleiter der Betriebssportgemeinschaft „Aufbau“ den Wert sportlicher Betätigung an sich eloquent lobpreisen. Schneller Wechsel zum Speedway, und prompt erklingt „Born to be wild“, während die Jungs ihre Maschinen zwischen Trabi und Barkas ins Harderstadion schieben. Heute kümmert sich an dieser Stelle die AOK um die Kranken dieser Stadt.

Eine Monika aus Möllenbeck fährt auffem Moped durch die Landschaft, und endlich ist da auch die Omma mit der Dederonschürze im Bild. Wir lernen, dass auch schon früher in den Dörfern nix los war, aber es trotzdem auf dem Land mehr fetzt. Monika reitet schließlich zu „Goodbye Yellow Brick Road“ von Elton John auf dem LPG-Pferd über den Acker.

Und wie sagt der Sprecher aus dem Off danach über den Rummelplatz in der Stadt: „Das Schreierische, Aufdringlich-Laute fehlt hier. Alles geht irgendwie seinen geruhsamen, stetigen Gang.“ Und schließlich: Der Biergarten am Tollensesee, Angeln an der Oberbaumbrücke, Tollensesee-Idylle.

Der vierte Film zeigt Birgit, die eine Wohnung sucht und erklärt, warum es nicht so einfach war, eine zu finden, besonders, wenn man, wie Birgit, ledig war. Schwenk in die Oststadt, Plattenbau galore. Und wieder die sonore Stimme aus dem Off: „Hinter den Fassaden gedeiht bescheidener Komfort: fernbeheizt und preiswert.“ Wir sehen einen der typischen gelben Ikarusse an der Haltestelle „Reifenwerk“; und wie voll die Busse damals waren!

Dann ist es Disco-Zeit im „Mosaik“! Der DJ mit Bommelmütze und Kassettensammlung begeistert die vokuhilalastigen und dauerrauchenden Jugendlichen mit den Pet Shop Boys. Der Rest des Films geht in weiteren Mode-, Tanz- und Frisuren-Flashbacks unter und endet mit dem bemerkenswerten, tiefenpsychologischen Fazit des Sprechers:

Jugendliche in der DDR. So, wie wir sie erlebt haben, erscheinen sie wohlerzogen und angepasst. Nach außen hin folgen sie bereitwillig den Forderungen des Staates. „Nur nicht auffallen“ ist die Devise. Dennoch wird jede Gelegenheit genutzt, ins Private abzutauchen, sich von außen herangetragenen Ansprüchen zu entziehen und die eigenen Interessen auszuleben.“

mosaik

Dieser Beitrag wäre ohne den Hinweis von dem guten Monaco-Franze nie entstanden. (Was macht überhaupt dein Internet?) Der hatte nach irgendwas gegugelt und war im Neubrandenburg von 1988 gelandet. Fazit: Die Suchmaschine ist der bessere Fluxkompensator.

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Musik sl.

Warum ich einmal von Depeche Mode träumte

Eija's birthday cake

foto:abi_skipp@flickr.com

Ich träume selten. Sehr selten. Das war schon immer so. Ich wurde ab Werk unträumend ausgeliefert. Umso prägnanter sind dann richtige, echte, umfangreiche Träume, wenn ich sie dann mal ganz durchträume. Umso genauer kann ich mich an sie auch später erinnern.

Es muss kurz vor der Wende gewesen sein. Die DDR hatte eine Jugendorganisation, einen Jugendradiosender, eine Jugendfernsehsendung. Die DDR hatte jede Menge Jugend. Eine Jugend, die nur noch wenig Angst vor kapitalistischen Langstreckenraketen hatte und sich stattdessen fragte, warum offiziell und inoffiziell immer stärker auseinanderdrifteten.

Ich war damals 12 Jahre alt und träumte von Depeche Mode.

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Familie

Früher waren die Oldtimer irgendwie älter

„Oh, kuckma Papa, da hinten steht ein Oldtimer!“

Häh? Nun, auf eine gewisse Entfernung habe ich ohne Brille schon mal besser sehen können, aber … da waren keine Oldtimer. Da waren parkende Autos am Straßenrand. Aber keine Oldtimer.

„Da ist kein Oldtimer, mein Junge.“

Vielleicht hat er den Begriff nur falsch verwendet. Sowas kann ja vorkommen, er ist gerade fünf geworden, da sind eben noch nicht alle Assoziationen korrekt verknüppert. Ich überlegte überlegen, wie ich „Oldtimer“ einem Fünfjährigen am treffsichersten definieren könnte. Doch er plapperte dazwischen:

„Doch, Papa, da ist ein Oldtimer. Da vorne!“

Langsam wurde ich ein wenig ungehalten. Er sah einen Oldtimer, den ich nicht sah. Hatte er so einen langen Kindergartentag gehabt? Wollte er mich veralbern? Ist das ein brandneuer Kumpel-Insider? Papas mit Absicht imaginäre Oldtimer vorgaukeln? Na warte!

„Jetzt ist aber gut. DA STEHT KEIN …“
„Der weiße da!“

(Ups.)

Trabant in Wittenberg

foto:roger4336

P.S.
„Papa, wie heißt das Auto eigentlich? Das habe ich ja noch NIE gesehen!“

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Sport

Bergring Teterow in der DDR: „Ost-Orgie“ oder doch einfach nur ein Motocrossrennen

015 DDR. Jugend. Berlin 1983

Zwei mythische Städte im Alten Testament, die wegen der Sünde ihrer Einwohner von Gott vernichtet wurden. Umgangssprachlich eine katastrophale Situation oder einen Ort zügellosen, unkontrollierbaren Geschehens.

Soweit die Definition von Sodom und Gomorra. Sünde also, katastrophal, zügellos, unkontrollierbar. So muss es demnach damals zugegangen sein bei der „abgefahrenen Ost-Orgie“, wie das Bergringrennen in Teterow bei einestages, dem Zeitgeschichte-Portal von Spiegel Online, im Vorspann angekündigt wird. Am Pfingstwochenende seien „Staatsfeinde in Feierlaune“ gewesen, Zigtausende Jugendliche hätten auf dem Bergring Widerstand gegen die DDR-Obrigkeit geleistet. Die passende Überschrift: Sodom und Motorrad.

Nun ist das ja so eine Sache mit den Überschriften: Kurz und knapp sollen sie sein, Aufmerksamkeit sollen sie erregen, Reizwörter sind nicht schlecht, Wortspiele können funktionieren. Ärgerlich wird es aber immer dann, wenn sie etwas versprechen, was im Text nicht gehalten wird. Im Text – oder in der Realität.

War also der Bergring zu DDR-Zeiten ein Ort zügellosen, unkontrollierbaren Geschehens?

Ich weiß es nicht, war nie da. Der Fotograf Siegfried Wittenburg, geborener Warnemünder und Autor der einestages-Geschichte, hat 1982 und 1983 auf dem Bergring fotografiert. Und zu den Bildern hat er einen Text geschrieben, der vor allem die beschreibt, die damals in Scharen gen Teterow kamen: Jugendliche.

Dabei ließen sich die jungen Leute bereitwillig verewigen, stellten sich in Pose, mit Flasche oder ohne. Aber sie entsprachen damit eben so gar nicht dem sozialistischen Idealbild. Sie brachen aus dem Alltag aus, um allen zu zeigen, dass sie selbstbestimmt leben und keine „allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten“ sein wollten. (…) Die reichlich zitierten Berichte von Volkspolizei und Staatssicherheit lassen keinen Zweifel daran, dass die „Tramper und Gammler“ der Staatsfeind Nummer zwei waren, gleich nach den westlichen Agenten und Saboteuren.

Die Kommentare unter dem Artikel gleichen allerdings die arg reißerische Spiegel-Ankündigung wieder aus, „ziemlich albern“ sei „diese von Unwissen und Unverständnis strotzende nachträgliche Überhöhung alltäglichen Geschehens und Verhaltens“. Und selbst Autor Siegfried Wittenburg, der Überschrift und Vorspann vielleicht so nicht gewählt hätte, meldet sich daraufhin nochmal und stellt klar: „Natürlich war das Teterower Bergringrennen keine Veranstaltung von Widerstandskämpfern aus der Sicht der Teilnehmer. Aus der Sicht der Staatsmacht schon.“

Foto: ulrichkarljoho – ddr-jugend in berlin 1983
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Sport

Wie steht es um den deutschen Fußballosten?

Der deutsche Fußballosten. Der eine sieht ihn verschwinden und empfindet Mitleid jedoch als eher unangebracht. Der andere zieht optimistische Vergleiche mit Kiel und Saarbrücken und empfindet Mitleid als fehl am Platz. Ich kenne diesen Fußballosten gar nicht persönlich und stecke meine Nase mal lieber in die Vergangenheit:

So. Rein quantitativ betrachtet krepeln in den ersten drei Fußballebenen genau so viele Ostvereine herum wie noch vor vier und fünf Jahren. Die konstantesten von ihnen – Hansa Rostock, Union Berlin, Energie Cottbus – sehen sich in der zweiten Liga, und auch die Drittligisten Dresden, Erfurt, Aue und Jena sind mitnichten überraschende Emporkömmlinge. Würde man sich den Spaß machen und die Zuschauerzahlen dieser Klubs mal in Verhältnis zu irgendwas setzen, wäre vielleicht auch nicht so viel von Mitleid, welcher Art auch immer, die Rede.

Qualitativ gewichtet sieht es ein wenig anders aus, in der Tat wird hier ein gewisser Abwärtstrend sichtbar. Das liegt an der künftigen Nichtteilnahme des Fußballostens an der Bundesliga, aber auch an der Umstrukturierung der Regionalligen. Und vor gerade mal zwei Jahren ist nach dieser Rechnungsweise das beste Ost-Ergebnis (2xBL, 2x2L, 6xRL) der vergangenen Dekade zu konstatieren.

Lassen wir spaßeshalber die dritten Ligen außen vor, ergibt sich ein ähnlich diffuses Bild. Die soeben vergangene Saison waren es lediglich Cottbus und Hansa, die in Liga eins und zwei mitspielten, vor zehn Jahren gab es eine ähnliche Konstellation, nur gab es damals noch die Regionalliga Nordost, quasi eine Reinkarnation der DDR-Oberliga. Mit einer Ausnahme spielten immer zwei bis fünf Ostklubs in Bundes- und 2. Liga, ein Trend ist hier nicht zu erkennen.

Unter dem Strich ergibt sich folgendes Fazit: Ja, der Fußballosten verschwindet – stützt sich der Analysator größtenteils auf die Teilnahme und den Erfolg von Ostvereinen in der Eliteklasse. Nein, es gibt ihn und er lebt – löst man sich von der Bundesliga und sieht mal nach, wie es darunter so kreucht und fleucht. Und findet jemand mal verlässliche Zahlen, wie viele hoffnungsvolle Ost-Fußballer zwecks Ausbildung, Studium oder generellem Geldverdienen gen Westen zogen, braucht niemand mehr pünktlich zum Saisonende Mitleid, Traurigkeit oder Ärger herauszukramen.

Es ist eben so.