Kategorien
Bild Politik

Wir qualifizieren Fassaden

Eine meiner Lieblings-Bürotassen:

IMG-20150410-00301

„Und, was machen Sie so beruflich?“
„Nun, ich bin Fassadenqualifizierer.“
„Ach! Das ist ja … interessant!“
„Nicht wahr? Die Leute glauben das immer nicht, aber Fassaden dürfen eben nicht nur gut aussehen.“
„Sehen Sie, das habe ich bisher auch immer gedacht.“
„Tun Sie das nicht! Eine perfekte Fassade muss dringend als solche qualifiziert werden. Sonst taugt sie nix!“
„Gut, dass ich Sie getroffen habe. So was sagt einem ja auch keiner!“
„Nicht wahr? Ich verrate Ihnen jetzt mal was: Eine ganze Industrie lebt vom Geschäft mit unqualifizierten Fassaden!“
„Das gibt es doch nicht!“
„Aber wenn ich’s Ihnen doch sage! Es will nur niemand wissen.“
„Halten Sie durch! Klären Sie auf! Die Welt braucht Menschen wie Sie!“
„Ach … ich weiß nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich niemand versteht. Dass ich gegen Mühlen ankämpfe. Dass die moderne Gesellschaft gar keinen Wert mehr auf qualifizierte Fassaden legt, sondern nur auf das Äußere. Dass die Blender immer mehr werden, die stets Lächelnden, die mit den kräftigen Farben, den starken Kontrasten, der lauten Reklame.
Jetzt seien Sie mal ehrlich: Braucht es überhaupt noch Fassadenqualifizierer?“
„Ähm … also … na ja …“
„Sehen Sie!“
„Ach, kommen Sie! Sie sind doch nicht dumm! Sind es gewohnt zu arbeiten, sind fleißig, offen, kommunikativ, teamfähig; Sie wissen, was los ist in der Wirtschaft …
Hmm, warten Sie mal, ich hab’s: Sie könnten doch irgendwas mit Medien machen!“

Kategorien
Neubrandenburg Politik

Fakten über Neubrandenburg – Heute: Wie wählen die Stadtgebiete?

Zu Jahresbeginn ist das aktuelle Statistische Jahrbuch der Stadt Neubrandenburg erschienen. Das Ding ist knapp 230 Seiten dick (die PDF wiegt 3,3 MB) und behandelt alle Themen von Abfallentsorgung bis Zuzüge, die sich irgendwie in Zahlen pressen lassen. Ein paar interessante Fakten sollten aber nochmal extra gewürdigt werden, finde ich.

– – –

Nachdem es jüngst um die vergangenen Oberbürgermeisterwahl 2008 ging, bleiben wir noch ein wenig beim Thema: Es soll jetzt das Wahlverhalten in den einzelnen Neubrandenburger Stadtgebieten eine Rolle spielen. Bei jeder Wahl werden die Ergebnisse in zehn Gebiete aufgeschlüsselt, die sich recht gut mit den realen Stadtvierteln decken.

So gehören zum Wahlbereich 1 das Industrieviertel und die Oststadt („Stadtgebiet Ost“), zum Wahlbereich 2 Innenstadt und Katharinenviertel sowie Südstadt und Lindenberg (Steep, Lindenberg Süd). Zum Wahlbereich 3 zählen die Statistiker den Datzeberg, das Reitbahn- und Vogelviertel sowie das sogenannte Stadtgebiet West mit Nachtjackenviertel, Rostocker Straße, Broda und Weitin.

Ich habe nun die Wahlergebnisse der jüngsten drei Wahlen (Landtagswahl 2011, Bundestagswahl 2013, Kommunalwahl 2014) mal in einen Topf geschmissen und nach Stadtgebieten und Parteien ausgewertet. Diese Wald- und Wiesen-Methode (Wie wurde im Viertel x für Partei y durchschnittlich gewählt?) hat natürlich nichts mit Wahlforschung zu tun. Eine gewisse Affinität von Datzebergern, Oststädtern oder Katharinenviertlern zu bestimmten Parteien kann aber ja vielleicht dennoch konstatiert werden.

Erste Erkenntnis: Die CDU hat’s in Neubrandenburg nicht so mit Plattenbauvierteln. Reitbahnweg, Datzeberg, Ost- und Südstadt stehen bei den Christdemokraten ganz hinten, die Eigenheim-Hochburgen im Westen wählen dagegen gerne mal schwarz.

Zweite Erkenntnis: Im Vogel- und Lindenbergviertel steht man auf die Volksparteien. Dort wird viel CDU gewählt, aber eben auch die SPD. Beide Parteien zusammen kommen in den Stadtgebieten auf knapp 60 Prozent, im Reitbahnviertel sind es dagegen gerade mal knapp über 40 Prozent für Schwarz und Rot.

Dritte Erkenntnis: Die Plattenbauviertel sind linke Hochburgen. Im Stadtwesten kann man mit den Genossen dagegen nicht ganz so viel anfangen.

Vierte Erkenntnis: Im Reitbahnviertel wird durchschnittlich am meisten Grün gewählt. Auch die Innenstadt und das Stadtgebiet West sind hier mit vorne. Meine schwache Vermutung ist, dass sich dabei reine Protest- und echte Öko-Wähler die Waage halten. Aber was weiß ich schon.

Fünfte Erkenntnis: In der Innenstadt kann man mit den Rechten nix anfangen. Aber auch in der Südstadt nicht ganz so, was hinsichtlich der platten Plattenbau-These (Reitbahnweg, Datzeberg, Oststadt vorne) etwas überrascht.

Sechste Erkenntnis: Die Neubrandenburger Piraten wohnen im Reitbahnviertel.

Siebte Erkenntnis: In Broda und auf dem Datzeberg wurde am meisten FDP gewählt. Kuck an!

Achte und letzte Erkenntnis: Das Industrieviertel, die Innenstadt und das Katharinenviertel tummeln sich meist im gepflegten Mittelfeld und dürfen daher in puncto Wahlverhalten als recht durchmischt anzusehen sein.

– – –

Die Datenbasis der bunten Balkendiagramme schlummert übrigens in diesen Spreadsheet-Tabellen.

Kategorien
Neubrandenburg Politik

Fakten über Neubrandenburg – Heute: Oberbürgermeisterwahl

Zu Jahresbeginn ist das aktuelle Statistische Jahrbuch der Stadt Neubrandenburg erschienen. Das Ding ist knapp 230 Seiten dick (die PDF wiegt 3,3 MB) und behandelt alle Themen von Abfallentsorgung bis Zuzüge, die sich irgendwie in Zahlen pressen lassen. Ein paar interessante Fakten sollten aber nochmal extra gewürdigt werden, finde ich.

– – –

Neubrandenburg sucht einen neuen Bürgermeister. Sechs Kandidaten werden am 1. März die Nachfolge von Paul Krüger (CDU) anzutreten versuchen, der seit 2001 Oberbürgermeister der Stadt ist.

Zum letzten Mal gewählt wurde Krüger im Jahr 2008. Damals bekam er bei der Hauptwahl am 18. Mai 26,8 Prozent der Stimmen, das waren knapp 7000 Stimmen. In sieben von zehn Stadtgebieten bekam er die meisten Stimmen, nur im Reitbahnviertel (Einzelbewerber Hans-Joachim Schröder), in der Innenstadt und im Stadtgebiet Süd (jeweils Irina Parlow, Die Linke) war die Konkurrenz stärker.

Da kein Kandidat die absolute Mehrheit auf sich vereinen konnte, gab es am 1. Juni 2008 eine Stichwahl zwischen Krüger und Schröder. Dabei wurden 19.736 Stimmen abgegeben. Paul Krüger gewann mit 52,3 Prozent, also 10.327 Stimmen. Letztendlich haben 459 Stimmen die Wahl entschieden. Hans-Joachim Schröder konnte lediglich im Reitbahnviertel (knapp) und im Stadtgebiet Süd (deutlich) gewinnen, im Datzeviertel gab es ein Unentschieden.

Kategorien
Neubrandenburg Politik

Technik in der Gastronomie, jetzt neu: Blinkbrummdingse und Anzeigetafel

Coffee Bubbles

foto:picturezealot mit cc-lizenz

Die Technik hat unsere Wohnzimmer erobert, unsere Klassenzimmer, die Fußgängerzonen, die Busse und Bahnen. Jetzt ist eine weitere Bastion fällig.

Denn du kannst noch zu Fuß in ein Restaurant gehen, deinen gebratenen Tollensehecht und das Gläschen Riesling von einer Speisekarte auswählen und anschließend bar bezahlen, alles noch recht stromfrei also. Zwei Mal innerhalb kurzer Zeit bin ich jetzt aber bei uns über komisches Gastro-Tech-Zeugs gestolpert, das irgendwie aus den Gegenden mit den vielen Menschen hierhergeschwappt sein muss.

– – –

Da sitze ich Nachmittag in einem Bäckerei-Café und will eine Tasse Kaffee trinken. Vor mir vier Kaffeeklatschtanten, die irritiert sind. Denn seit ein paar Tagen herrscht hier „Selbstbedienung“, und die geht so: Mit der Bestellung bekommt man ein quadratisches, handtellergroßes flaches Plastedings, das anfängt zu summen und zu blinken, sobald alles fertig ist. „Na gut“, sagt eine Klatschtante, „brauchen wir wenigstens kein Trinkgeld bezahlen.“ Alle lachen, auch die drei Backwarenverkäuferinnen, die gerade im Dienst sind.

Ich bin an der Reihe, bezahle meine Tasse Kaffee und setze mich mit dem Blinkbrummdings an meinen Tisch. Kaum habe ich meine Jacke ausgezogen und es mir bequem gemacht, blinkt und brummt es. Ich wische und drücke und schüttele, aber das Blinkbrummdings blinkbrummt munter weiter. Ich sehe, dass eine Verkäuferin hinter dem Tresen, der etwa drei Armlängen von meinem Tisch steht, meine Tasse Kaffee fertig hat. Ich stehe auf, um sie mir abzuholen und das Gerät endlich loszuwerden, das langsam anfängt zu nerven. Auf halbem Wege, also etwa nach zweieinhalb Schritten, kommt mir die Verkäuferin entgegen und übergibt mir meinen Kaffee.

Ich fasse zusammen: Anstatt mir eine Tasse Kaffee zu machen und mir mit zehn Schritten an den Tisch zu bringen oder mich wahlweise mit einem galanten „die Tasse Kaffee?!“ (mehr Freundlichkeit würde in der Region komisch wirken) auf den Produktionsschluss des Produkts hinzuweisen, auf dass ich dann die zehn Schritte gehe, zieht es die Bäckerei vor, den Kunden ein Blinkbrummdings in die Hand zu drücken, das er dann wieder am Tresen abgibt, wenn der Kaffee fertig ist. Gespart haben die Verkäuferinnen bei dieser Prozedur das galante „die Tasse Kaffee?!“, dafür rennen die Kunden mit Blinkbrummdingern durch den Laden.

Die Klatschtanten sind höchst belustigt ob der vier Mini-Ufos auf ihrem Tisch. Beim Tortenabholen sagt eine: „Früher war es aber irgendwie besser“, und die Verkäuferin weist pflichtbewusst auf die Vorteile hin, wenn’s denn mal richtig voll ist.

– – –

Zweite Station: der neue Burgerkult in Neubrandenburg. War ziemlich lecker dort, es geht doch weniges nur über frisch gebratenes Fleisch. Um an das gute Stück zu gelangen, musste ich allerdings eine Nummer ziehen, auf einer Anzeigetafel werden dann die fertigen Nummern angezeigt. Wieder sitze ich etwa drei Meter vom Tresen entfernt, um die Anzeigetafel zu erkennen, muss ich aufstehen und an den Tresen gehen. Als mein Burger fertig ist, stehe ich also auf, gehe an den Tresen, drehe mich um, erkenne meine Nummer, drehe mich wieder um, gebe den Nummernzettel ab, nehme meinen Burgerteller und setze mich wieder.

Ja, wenn der Laden voll ist, werden Anzeigetafel und Blinkbrummgeräte die Effizienz der Gästerverköstigung um mindestens 17 Prozent erhöhen, da bin ich mir sicher. Wenn der Laden leer ist – und wir sind hier nun mal in Mecklenburg-Vorpommern und haben Erfahrung mit nicht-vollen Läden –, dann sorgt das alles mindestens für Erheiterung.

– – –

Und mir fällt auf, dass das Arbeitsamt-Konzept „Nummern ziehen feat. Anzeigetafel“ ausgeweitet werden sollte. Statt „der Nächste, bitte!“, unmissverständlich von Schwester Monika ins Wartezimmer trompetet, könnte die jetzt zu behandelnde Nummer 381 auf der Tafel auch gleich sehen, in welchem Behandlungszimmer sie jetzt noch eine halbe Stunde halbnackt auf den Arzt warten darf.

Auch in der Schule könnte eine Anzeigetafel für ordentlich Ruhe sorgen. Statt des hektischen Meldens könnten die Wissbegierigen mit ihrem Handy (das dann auch nicht mehr ständig eingezogen werden müsste) ihr „Ich weiß was!“ per Knopfdruck kund tun. Der Lehrer ruft nur kurz „217!“, denn wer kann sich schon alle Namen merken?, und Ben „217“ Müller legt los.

In der Geburtsklinik sollte eine Anzeigetafel den diensthabenden Hebammen signalisieren können, welches Baby denn mit welcher Wahrscheinlichkeit als nächstes zu schlüpfen gedenkt; das ständige am-Bett-rumsitzen nervöse-Väter-betüttern fiele dann flach. Im Supermarkt: nur noch eine Schlange an der Kasse, Nummern ziehen, Anzeigetafel! Beim Familienessen: Per Touchpanel können die Eltern festlegen und signalisieren, welches Kind als nächstes die Erlebnisse des Tages referieren darf.

Hach, die Welt braucht viel mehr Struktur, Reihenfolge, Ordnung. Sie braucht mehr Signalgeräte und Anzeigetafeln! Patriotische Europäer gegen die Individualisierung des Abendlandes!

Denn individuell ist ineffizient.

Kategorien
Neubrandenburg Politik

Wo sind all die Bäcker hin?

backforgood

Screenshot Die Zeit

„Fragt doch die Leute!“, hat sich Die Zeit gedacht und dann die Leute gefragt, wo es Bäckereien gibt, die noch selbst backen, also Teig zubereiten, rin in den Ofen, raus aussem Ofen, verkaufen. Mehr als 15.000 Menschen haben geantwortet, und es ward eine Karte. Der Beitext konnte leider der Überschrift „Back for good“ nicht widerstehen, wartet dafür aber mit der, wie ich finde, erstaunlichen Statistik auf, wonach Ende des 19. Jahrhunderts fast viermal so viel Brot wie heute gegessen wurde.

Für Neubrandenburg und nähere Umgebung gibt es demnach genau einen Bäcker, der diesen Namen noch verdient. Die Bäckerei Gesche mit Stammsitz in der Oststadt fertigt ihre Produkte nach eigenen Angaben alle Produkte in der Backstube, „ausschließlich nach eigenen Rezepturen“ und unter Verzicht auf Backmischungen und zugekaufte Produkte.

Das finde ich gut. Aber ist Gesche hier in der Gegend wirklich der letzte echte Bäcker? Gibt es die nächsten richtigen Backstuben erst wieder in der Uckermark, auf Usedom, in Neukalen und Waren an der Müritz, wie es die Zeit-Karte zeigt? Ich kann das gar nicht richtig glauben – die Übersicht erhebt auch nirgends den Anspruch auf Vollständigkeit – und will deshalb die Frage noch mal stellen: Wo gibt es hier eigentlich noch Bäckereien, wo nicht nur auf-, sondern noch selbst gebacken wird?

DISCLAIMER: Dieses Blog ist hier Stammkunde.
Kategorien
Politik

Welche Vereine in MV Bußgelder aus der Justiz bekommen (neu mit Update)

Update: Die Leiterin der Kreismusikschule Uecker-Randow hat sich gemeldet. Sie hat keine Kenntnis über eine Zuwendung vom Gericht in der außergewöhnlichen Höhe von über 150.000 Euro. Diese Angabe des OLG Rostock in der Liste des Jahres 2010/2011 ist demnach falsch.

Update 2: Die Schweriner haben aufgelistet, welche Vereine aus, na klar: Schwerin mit Gerichtsspenden bedacht worden sind.

* * *

Mehr als 1100 Mal haben Gerichte und Staatsanwaltschaften in den Jahren 2010 bis 2013 in Mecklenburg-Vorpommern Bußgelder verteilt. Denn wenn von der Strafverfolgung aus bestimmten Gründen abgesehen wird, kann dem Beschuldigten laut Strafprozessordnung die Auflage erteilt werden, „einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen“. In MV wurden dabei Gelder in Höhe von mindestens rund zwei Millionen Euro an knapp 700 Vereine ausgereicht.

DSC_1222

Foto: NicosFotos via Flickr unter CC-Lizenz by

Das belegen Zahlen, die das „erste gemeinnützige Recherchebüro Deutschlands“ Correctiv gesammelt hat. In einer durchsuchbaren Datenbank listet Correctiv alle in Deutschland derzeit verfügbaren Bußgelder auf, die Richter und Staatsanwälte verteilt haben. Das Pikante daran: Die Vergabe wird kaum kontrolliert. In einem besonders krassen Fall in Bayern hat sich gezeigt, dass zwischen Gericht und einem archäologischen Verein einer Ex-Richterin ordentlich gemauschelt wurde.

* * *

Die Aufstellungen für Mecklenburg-Vorpommern zeigen, wie sich die Bußgeldvergaben auf die einzelnen Gerichte und Staatsanwaltschaften im Land verteilen (Zahlen sind gerundet):

Staatsanwaltschaft Rostock (2013) 220.000 €
Staatsanwaltschaft Neubrandenburg (2013) 200.000 €
Staatsanwaltschaft Stralsund (2013) 120.000 €
Staatsanwaltschaft Schwerin (2012) 61.000 €
Oberlandesgericht Rostock (2010/11) 645.000 €
Oberlandesgericht Rostock (2012) 340.000 €
Oberlandesgericht Rostock (2013) geschätzt 425.000 €

Die Rostocker Staatsanwaltschaft (Excel-Liste) hat die Summe laut Aufstellung komplett an die Landeszentralkasse gegeben. Einmal hat’s gleich ganz ordentlich gescheppert, als 200.000 Euro mit einem Mal überwiesen wurden. Wer der glückliche Empfänger war, ist nicht zu ersehen.

In Neubrandenburg (PDF-Liste) wurden für gemeinnützige Vereine Summen von 50 Euro (für den Verein Freunde der Oberlinschule Potsdam) über die Neubrandenburger Stadtfanfaren oder den Dreikönigsverein bis hin zu knapp 15.000 Euro für die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft ausgegeben. Die Hälfte der Summe ging an die Staatskasse.

Die Staatsanwaltschaft in Stralsund (Excel-Liste) hat maximal 5550 Euro verteilt, die Empfänger reichen vom 1. Volleyballclub Stralsund bis zur Wolgaster Tafel.

Die Schweriner Staatsanwaltschaft (Excel-Liste) kam beim Geldverteilen selten mal über 2000 Euro hinaus. Dafür hat sie – bedenkt man das ursprüngliche Ziel der Verbrechensvorbeugung – manchmal genau die richtigen Vereine bedacht: Rote Nasen e.V., Sisyphus e.V., den Kampfkunstverein „Dojo Ronin“ oder auch den Polizeichor Schwerin.

Der größten Bußgeld-Batzen floss jedoch vom Oberlandesgericht Rostock (Excel-Listen für die Jahre 2010/2011, 2012 und 2013 (Datei korrupt?)). Ungefähr 1,4 Millionen Euro wurden hier innerhalb von vier Jahren verteilt.

* * *

Besonders die Liste 2010/2011 des OLG Rostock ist ziemlich interessant. Es tauchen wieder einige bemerkenswerte Empfängervereine auf. So bekam der Neustrelitzer Tierschutzverein Mohrchen e.V., vermutlich eher kein großer Hort der Kriminalitätsprävention, mit knapp 13.000 Euro eine relativ große Summe. Der Rostocker „Verein für Neue Musik MV“ durfte sich über 14.000 Euro freuen. Mit rund 17.000 Euro ging eine größere Summe auch an den Handballverein Peenetal Loitz, der auch 2012 mehr als 14.000 Euro überwiesen bekam.

Der Greifswalder „Verein zur Unterstützung krebskranker Kinder“ durfte sich mit knapp 20.000 Euro über die von Gerichten des Landes in beiden Jahren größte ausgeteilte Gesamtsumme freuen. Obwohl … Moment: Ganz unten auf der Liste der verteilten Bußgelder 2010/2011 findet sich ein Verein mit einer vergleichsweise exorbitanten Zuwendung. Der Förderverein der Kreismusikschule Uecker-Randow in Ueckermünde hat vom Landgericht Neubrandenburg sage und schreibe 167.235 Euro bekommen. Die Zahl resultiert aber offenbar aus einer falschen Angabe seitens des Gerichts (siehe Update am Textanfang).

Bekommen haben 2010/11 übrigens 236 Vereine etwas, mehr als 1000 der auf der Liste des OLG Rostock erfassten Vereine gingen leer aus. Ganz interessant ist auch die Verteilung des Geldes auf die einzelnen Bereiche, in denen die Vereine gemeinnützig tätig sind.

Die wenigsten Vereine, die wenigsten Spenden und die geringsten Spendensummen entfielen auf die Bereiche „Straffälligen- und Bewährungshilfe“ und „Hilfe für Suchtgefährdete“ sowie „Alten- und Hinterbliebenenhilfe“. Diesen Bereichen werden 52 Vereine auf der Liste zugeordnet, 13 von ihnen haben eine Zuwendung von insgesamt 12.290 Euro bekommen.

Die meisten Vereine, die meisten Spenden mit der insgesamt höchsten Spendensumme gingen an die Bereiche „Allgemeine Jugendhilfe“, „Allgemeines Sozialwesen“ und an „Sonstiges“, also alle Vereine, die keinem der anderen acht Bereiche zugeordnet werden können. Hier flossen an 177 Vereine insgesamt 514.085 Euro, mehr als 1000 Vereine aus diesen drei Bereichen stehen auf der Liste des OLG Rostock.

Zugespitzt heißt das, dass Richter in MV lieber der in Bonn ansässigen „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ 5500 Euro zuteilen, als den läppischen ausgegebenen 5 Euro für die Musikschule Altentreptow/Demmin mal lieber eine oder zwei Nullen anzuhängen. 2200 Euro gehen an die „Historische Kommission für Pommern“, die „Freunde und Förderer des Deutsch-Polnischen Gymnasiums“ in Löcknitz bekommen dagegen nur einen Bruchteil dieser Summe. Und dass die Kirche in Bad Doberan auch einen ordentlichen vierstelligen Betrag überwiesen bekam, lässt sich vielleicht gerade noch damit erklären, dass „Bußgeld“ ja fast so ähnlich klingt wie „Büßergeld“.

* * *

Fakt ist, dass Staatsanwälte bei der Verteilung der Bußgelder, so schreibt es Correctiv in seinem Bericht, an „Richtlinien für das Bußgeldverfahren“ gebunden. Richter dagegen seien nicht weisungsgebunden und könnten relativ frei entscheiden, in welche Richtung das Geld fließt. Das Recherchebüro traut diesem System allerdings nicht mehr über den Weg. Es fordert eine Reform der gängigen Praxis:

Das undurchsichtige System der Bußgeldverteilung in Deutschland muss beendet werden. Richter und Staatsanwälte sollen nicht mehr willkürlich entscheiden dürfen, welcher Verein Geld bekommt. Stattdessen sollten alle Bußgelder und Gelder aus Verfahrenseinstellungen direkt in die Staatskassen der Bundesländer fließen. Dort entscheiden Parlamente in einem erprobten und demokratisch legitimiertem System über die Verwendung der Mittel.

Kategorien
Blog Politik sl.

… dass schon lange keine Musik mehr gespielt wurde

Es war ein ruhiger Tag. Wir hatten am Vormittag ganz ordentlich geübt und wollten jetzt noch mal aufs Wasser. Zwar blies der Wind eher dürftig, doch musste die Woche gut genutzt werden, um am Freitag die Prüfung zu bestehen. Vor- und rückwärts ging schon ganz gut, beim Umdrehen flogen die meisten aber noch regelmäßig ins fast wellenlose Salzhaff. Der Praxis-Schein in Windsurfen war notwendig für den Magister in Sportwissenschaften, die Spätsommerwoche an der Ostsee zählte – zumindest bis zu diesem Dienstagnachmittag – zu den schöneren Pflichten des Studiums.

Nach dem traditionell eher späten Frühstück krochen wir jeden Tag in die Neoprenanzüge, schnappten uns Brett und Segel und ließen uns erst wieder ans Ufer zurücktreiben, wenn die Kraft nicht mehr fürs Segelhalten reichte oder das Mittagessen lautstark angekündigt wurde. Es war ein dankbares Fleckchen Meer, flach, überschaubar, und stets weht ein sanfter Antrieb mit Windstärke zwei bis drei.

Die Gemeinschaft der Surf-Eleven war eine recht verschworene. Viele kannten sich schon vorher; die Zahl der Sportstudenten an der FU Berlin war Anfang des Jahrtausends auf ein sehr überschaubares Maß geschrumpft, denn lange sollte es den Studiengang nicht mehr geben. Wir waren zusammen auf dem Wannsee gerudert, hatten uns im tiefsten Spandau Badminton beigebracht und zusammen Tausende BVG-Kilometer zwischen Sportstätten und Seminaren absolviert.

An der Ostsee hörten wir diese coole, neue Band Seeed auf Dauerschleife, feilten in den Surf-Pausen an unseren Skills im Beachvolleyball und ruhten abends mit Dosenbier am Strandlagerfeuer. Ein paar Männlein und Weiblein spielten etwas unbeholfen das ewige Spiel; die meisten jedoch konnten die Zeit richtig genießen und die Studentenseele baumeln lassen.

Das Mittag war also vorbei und wir lungerten auf den Bänken zwischen den Bungalows herum. Irgendwo dudelte ein Radio, leider gerade keine Musik. Wir spielten Skat, eher uninspiriert, es war ein gutes Mittagessen gewesen, und das Kartenspiel sollte einfach nur den inneren Schweinehund besänftigen, damit der nicht plötzlich eifrig aufspringt und auf den Wellen reiten will. Irgendwo dudelte eine Radio, immer noch keine Musik. Die Sonne schien, noch recht träge schlurften die ersten Schnellverdauer in Richtung der Surfbretter.

Ich staune, wie genau ich heute noch weiß, auf welcher der vielen Bänke ich in diesem Moment wie gesessen habe: auf der in der Mitte, zur Ostsee hin, seitlich, je ein Bein links und rechts runterbaumelnd. Irgendwo dudelte ein Radio. Wir waren gerade beim Reizen, als jemand bemerkte, dass schon lange keine Musik mehr gespielt wurde.

Komisch.

„Machma lauter!“

„… Flugzeug … World Trade Center … ist nicht auszuschließen … Terrorismus …“

Am späten Abend riss ich mich mal kurz vom Fernsehen los, um meine Lieben anzurufen. Am nächsten Tag kaufte ich den örtlichen Kiosk leer, um in den Zeitungen und Magazinen gegen das Unbegreifliche anzulesen. Später in diesem Jahr passierten dann noch andere doofe Dinge, die aber nichts mit der Weltpolitik, sondern nur mit meinem Leben zu tun hatten.

Ende 2001 war in der Summe schlimm, und es fing an genau heute vor 13 Jahren. Als irgendwo am Meer ein Radio dudelte, aber schon lange keine Musik mehr gespielt wurde.

Kategorien
Politik

Alles gut

Es ist eigentlich ganz einfach. Der Zusammenhang hätte einem früher auffallen müssen. Pädagogen werden es vielleicht immer schon geahnt haben, aber ich bin mir ganz sicher: Ich weiß nun, wie man Weltfrieden macht. Denn war es nicht in den vergangenen Jahrzehnten im Allgemeinen erfreulich ruhig hier bei uns? Kein Krieg, keine blutige Revolution, keine marodierenden Banden, keine Pest. Stattdessen nur ein paar Auslandseinsätze, die Wende und BSE. Doch wie haben wir das nur hingekriegt?

Foto: Rupert Ganzer via Flickr unter CC-Lizenz by-nd

Soll ich sagen? Na gut. Das Rezept ist simpel: Gebt allen Kindern Trophäen! Dieses Gesetz wird beim hiesigen Nachwuchs immer stärker befolgt, und das ist schon das ganze Geheimnis. Denn es ist doch ganz deutlich: Die Tatsache, dass immer weniger Kinder bei uns aufwachsen müssen, die niemals in ihrer Kindheit auch nur eine einzige Urkunde, Medaille, Pokal oder wenigstens einen Spezialfairplaysonderpreis bekommen haben, diese Tatsache wird niemand leugnen, der in den vergangenen Jahren auch nur einmal bei einem Kindergeburtstag, Hort-Wettbewerb oder Fußballturnier dabei war.

Es lautet also das erste Gebot: Sobald sich beaufsichtigte Kinder miteinander messen, gibt es keine Verlierer. Alle bekommen Preise. Alle!

Wenn bei einem Hallenturnier die Zeit der Siegerehrung gekommen ist, rollt ein Kleintransporter rückwärts an die Eingangstür, und eine Menschenkette befördert die Paletten mit Medaillen, Pokalen und Urkunden zur Verteilstation. Denn natürlich wird unterschieden zwischen erster Platz, fast erster Platz und nicht ganz erster Platz, so ist es ja nun auch wieder nicht. Und für die Schießbudenteams hat man gottseidank genügend Extrapreise, so dass auch niemand mit leeren Händen verabschiedet werden muss.

Denn das wäre furchtbar, das ginge ja überhaupt nicht, das ist so nicht mehr vorgesehen. Kinder brauchen Bestätigung, Erfolgserlebnisse, Ansporn. Möglichst viel, möglichst oft. Das geht am allerbesten durch kleine Pokale, die dann zuhause zu den anderen drapiert werden können. So müssen die Kleinen nicht mehr so leiden wie der arme Urgroßvater, der noch heute die Insignie seines einzigen Kindheitserfolgs, das Sportabzeichen in Bronze, jede Woche akribisch reinigt und wieder zurück in die Vitrine legt.

Auch beim Dosenwerfen zum Kindergeburtstag zählt der olympische Gedanke. Dabeisein ist alles, und ja, es ist dennoch nicht immer ganz zu vermeiden, dass manche mit präzisen Gewaltwürfen alles mit einmal umsemmeln und manche aus zwei Metern kein Einfamilienhaus (mit Carport) treffen würden. Aber das ist ja das Schöne: Schnell allen ’nen Kaubonbon in die Hand gedrückt und Schwamm drüber!

Tut man das nicht, hätte die Wurf-Schande vielleicht noch Wochen und Monate nachgegärt, und wenn dann ein ruppiges Elternpaar noch unsensible Sprüche klopft, kann sich die Lebenslaufbahn des Gedemütigten schon mal bedrohlich in die allerdüsterste Schieflage neigen. Aber so haben doch alle ihr Nasch bekommen, es muss also keine Schmach gerächt, keine Pleite ausgemerzt, kein Versagen mehr getilgt werden.

Und noch die unmusikalischsten und schüchternsten Nuschelkinder werden von empathischen Erzieherinnen bei der Talenteshow im Hort sofort mit Aufmunterungen und Kleinspielzeug bedacht, auf dass sie bloß nicht enttäuscht werden. Lobet die Preise! Würde es nicht so arrogant wirken, müsste man eigentlich statt machtloser Außenpolitiker palettenweise Plastepokale, Urkundenbündel und Trostpreispakete in die Krisenregionen dieser Welt schicken.

Wir alle werden bessere Menschen, wenn wir in der Prägungsphase nur ausreichend belohnt werden, so sieht’s doch aus! Wir machen Weltfrieden, weil kein Kind mehr verlieren muss. Würde die Give-Away-Industrie das wissen und ordentlich expandieren – die Diplomaten dieser Welt könnten scharenweise freiwillige soziale Jahre absolvieren und sich anschließend wahlweise zum Mediator oder – das ist derzeit noch eine Marktlücke – professionellen Preisrichter umschulen lassen. Umso mehr Auszeichnungen, umso besser! Je blinki, desto gut. Alles gut!

* * *
(Im Ernst: Ja, ich finde ein regelmäßiges, gerechtes und möglichst üppiges Belohnungssystem bei Kindern sehr gut. Und nein, ich bin kein Darwin-Fan. Ich frage mich aber manchmal, ob man nicht über das hehre Ziel, Kinder glücklich machen zu wollen, etwas hinausschießt, wenn man mit den Bundesverdienstorden nur so um sich schmeißt. Ich glaube, Kinder sollten sich fragen können, warum gerade sie jetzt ausgezeichnet wurden. Und nicht, warum gerade sie jetzt diesmal nicht.)

Kategorien
Netz Politik

Chaos im Universum von Cyber

cyberZum Thema Datenabhörskandal soll ein schöner Satz, der am späten Donnerstagabend in der Talkshow von Anne Will gesagt wurde (hier auf Youtube), nicht vergessen werden.

„Da herrscht ein wildes Durcheinander im Universum von Cyber“, konstatierte der renommierte Historiker Michael Stürmer (74) mitten in der lebhaftesten Diskussion, und es fehlte im Prinzip nur noch, dass die Redaktion im Hintergrund das bedrohliche Darth-Vader-Thema aus Star Wars eingespielt hätte.

Das Universum von Cyber! Vermutlich Millionen Lichtjahre entfernt, da kann ja niemand den Überblick behalten. Damit wird auch klar, was Angela Merkel (58) im Vorfeld des Obama-Besuchs in Berlin meinte, als sie betreffs des Cyber-Universum feststellte: “Das Internet ist für uns alle Neuland.”

Aber mal abgesehen von der poetisch-possierlichen Wortwahl: Michael Stürmer hat etwas ganz Wichtiges zur Sprache gebracht. Nicht die filmreife Personalie Edward Snowden ist das eigentlich aufregende Thema des Skandals. Sondern das in der Tat wilde Durcheinander, das in dem Daten-Geflecht aus Geheimdiensten, Netz-Giganten und privater Nutzer offenbar entstanden ist. Der klar artiklierte Wille, das zu beleuchten und zu entwirren sollte nach Prism und Tempora auf keiner politischen Agenda mehr fehlen.

(„Unten rechts“ im Nordkurier vom 5. Juli 2013, Foto: Digital Game Museum via flickr unter CC-Lizenz by)

Kategorien
Politik

Kassenzettelpapierverschwendung

Logo, Adresse, Claim, Steuernummer, Weißraum, Sammelpunkte, Weißraum, -K-U-N-D-E-N-B-E-L-E-G-, Adresse, Terminal, Kartenzahlung, Karte gültig bis, genaues Datum, *** Zahlung erfolgt ***, viel Weißraum, vier Punkte AGB, Weißraum, Unterschrift, Mehrwertsteuer, Bedienung, Weißraum, Adresse (sicher ist sicher).

Lediglich ein Fünftel des knapp einen halben Meter langen (und das war ein Kurzeinkauf) Kassenzettels besteht aus den wesentlichen Informationen: Was hat man eingekauft, wie teuer. Ein weiteres Fünftel ist Weißraum, ein Fünftel AGB, die niemand liest, ein Fünftel Adressen.

kassebon

So wird das aber nix mit diesem Klimadingens.