Kategorien
sl.

Tschüss, Platte!

sechs Etagen PlatteIn guten Zeiten habe ich es in 20 Sekunden geschafft. Mittlerweile ist die Erdanziehungskraft eine unheilvolle Allianz mit dem gemeinen Muskelschwund eingegangen, und es braucht eine gute halbe Minute, bis ich oben bin. Zwei Stufen auf einmal, zwei Laufschritte um die Kurve, nächste Etage. Dann, in der Sechsten angekommen, flink geklopft und schließlich japsend das anerkennende Erstaunen der Öffnenden eingesammelt. Die Belohnung: Bei klarer Luft ein 15-Kilometer-Blick über die Stadt hinweg gen Norden. Nicht viel anders dürfte sich ein König beim Blick von der Burg herab auf seine Ländereien gefühlt haben.

Also rein vom Blickwinkel her.

Nun war es also soweit, zum letzten Mal in die Platte zurück, die Mutter, sie zieht aus. Endlich. Nicht, weil es – wie in anderen, größeren Plattenbaugebieten – atmosphärisch ungemütlicher geworden war, nein, der Lindenberg mit seinen drei Straßenzügen und dem Wald nebenan und dem See nicht weit weg war und ist eine recht gemütliche Platte. Aber in einem gewissen Alter verschieben sich die Wohnprioritäten eben von Ausblick unmissverständlich in Richtung Treppensteigenvermeiden. Und nach mehr als drei Jahrzehnten hatte sie alle Panoramen dann auch schon mal durchgesehen.

... aber dieser Ausblick

Immerhin würde die mehrmalige Bewältigung der 88 Stufen am Tag für feuchte Träume bei jedem anständigen Herz-Kreislauf-Arzt sorgen. Beim Umzug produzierten sie allerdings diverse Wadenmuskelverhärtungen und etwa 3,7 Liter Extra-Schweiß. Und, man kann es nicht oft genug raten: Bücher in kleine Kisten, Wattebäusche in große. Nicht umgekehrt. Zweimal haben wir den Sprinter vollgestopft, dann waren die dreieinhalb Zimmer geleert, das Kellerverlies geräumt und der Sperrmüll zu einem ordentlichen Haufen platziert.

treppenflurIn der Erinnerung vermischt sich der Duft von frisch gewischten Steintreppen mit den dumpfen Geräuschen der Wohnungen unter und neben und schräg unter uns. Der nur halbhoch berandete Balkon in knapp 20 Metern Höhe hat wohl ebenso meine recht passable Schwindelfreiheit zu verantworten wie der ordentliche Wandbetonhärtegrad eine gewisse Improvisationskunst beim Löcherbohren. Hinter der Platte fanden sie statt, damals®, die Freiluftfußballturniere inmitten der Wäschetrocknerstangen-Ersatztore. Von der Wohnungstür bis zur Schulbus-Haltestelle brauchte ich eine Minute, es reichte also, dass ich dann Schuhe zu schnüren begann, wenn der Schlenki hinten vom Tannenkrug kommend auf den Lindenberg einbog.

Schrieb ich schon, dass der Ausblick ganz nett war?

Plattenparkplatz

kinderzimmerDas erste Silvester, dass ich mit einem Mädchen alleine feierte, klemmten wir wie zwei Spanner-Rentner am Kinderzimmer-Fenster und glotzten und tranken und knutschten und wollten dort und nur dort sein. Heute knutschen wir immer noch zu Silvester, aber ich würde mir kein Dreimeter-New-York-Poster mehr neben mein Bett mehr tapezieren, obschon der Kontrast zwischen Brooklyn-Bridge und zehn Kinderzimmer-Quadratmetern in der Mecklenburger Provinz nach wie vor gefällt. Und das Ding spielte sogar mal in einem Film mit: Im Zimmer von Meret Becker in „Liebe Lügen„. Echt!

LP's + NähzeugAber Nostalgie trägt einem das Lübzer Lemon auch nicht nach oben, und so wurde es nun Zeit. Die alte Schülergaststätte gegenüber liegt mittlerweile auch in Trümmern, Siebengeschosser mit Eigentumswohnungen sollen dort mal stehen, wo vor 25 Jahren eine kleine Eisdiele einem proppenvollen Stadtviertel die Sommernachmittage versüßte. Heute ist es zu ruhig auf dem Lindenberg, aber vermutlich werden die neuen Wohnungen mit genau diesem Argument demnächst angepriesen werden. Ab und an sichtet man eine junge Familie, und allein der Umstand, dass sie einem auffällt, der beschreibt schon alles.

Die Mutter wohnt jetzt ebenerdig, mit ein wenig Mutterboden (konnte nicht widerstehen) hinter der Terrasse und ohne Durchreiche zwischen Stube und Küche; ein Verlust, den die jüngste Enkelin erst mal verkraften musste. Sowas hat schließlich nicht jeder, heute. Was hingegen noch sehr viele haben, ist eine astreine Plattenbau-Wohn-Sozialisation. Und wenn man dieses Schlagwort mal gründlich durchgoogelt, kann man ahnen, dass es sehr viel Klischee beinhaltet, aber eben auch nicht nichts bedeutet. Im besten Fall kann man launig darüber in seinem Blog schwadronieren, im schlimmsten wird es als küchenpsychologisches Argument für oder gegen irgendetwas aus dem Ärmel geschüttelt, wenn einem sonst weiter nichts mehr einfällt.

Wie auch immer dem sei: Tschüss, Platte.

Kategorien
Medien

Alle vier Flächen des Würfels

rubiks cube

Ist doch eigentlich gar nicht so schwer. Gewürfelt haben wir doch alle schon mal, eine Augenzahl von 1 bis zur 6 darf der Erfahrung zufolge auf einem klassischen Würfel erwartet werden. Nun hat bei der Deutschen Presseagentur offenbar jemand Flächen mit Himmelrichtungen verwechselt, und viele Redaktionen von Berlin über Dresden bis Stuttgart vermeldeten in ihrem obligatorischen „Wie scheiße Wetten dass gestern wieder mal war“-Bericht, wie flink Justin Bieber alle vier Flächen des Zauberwürfels richtig positioniert hat. Einzige googlebare Ausnahme: Die Frankfurter Rundschau.

Foto: culture.culte

Kategorien
Politik

„Wir hatten gesagt: Keine Nachfragen!“

Kategorien
Sprache

Ich bin die kleine Katze

Kategorien
Sport

Lass die Finger von der Vuvuzela: Das ist Afrika!

vuvuzela

Da kann man ja das eigene Wort nicht verstehen. Das hört gar nicht auf, das geht die ganze Zeit über! Das ist so laut. Das reagiert gar nicht auf die aktuelle Spielsituation! Das hat man ja noch nie erlebt. Das sollte man verbieten!

Du meine Güte!

In der DDR-Oberliga gab es auch Tröten, die ähnlich der Vuvuzelas komische Geräusche machten. Bei der WM 1986 in Mexiko herrschte meinen spärlichen Erinnerungen nach ebenfalls diese ungewohnte Bienenschwarmatmosphäre auf den Rängen; auch wenn es wohl etwas leiser war. Beiden Spontanbeispielen ist gleich, dass sie zeitbedingt nicht mal der Akustik benötigen, um korrekt erkannt zu werden. Die Oberliga kann man in Rückblenden heute nach drei Spielsekunden identifizieren, die WM 1986 ebenfalls, alleine schon der lustigen Schattenspiele auf dem Rasen wegen.

Aber wer kann nach kurzer Zeit die WM ‘94 von der ‘98 unterscheiden, wer die WM ‘06 von der EM ‘08, wer die Bundesliga-Saison 2009 von der 2005?

Normierte Stadien, normierte Reklame, quasi-normierte Akustik. Die ganze letzte Fußball-Dekade hindurch, mindestens. WMs in Deutschland, Frankreich, EMs in Österreich, Schweiz, Portugal, Niederlande, Belgien, England, die Bundesliga in den mittlerweile fast immergleichen deutschen Arenen. Immer die gleiche Champions League, immer die Ultras, die bekannten Fangesänge, Dauertrommeln. Europäische Fußballfanhegemonie.

Und dann ein Riesenthema, wenn es mal anders ist. Himmel! Ist es nicht ganz prima, später mal Spiel-Ausschnitte nur wegen ihrer eindeutigen, wenn auch zunächst ungewohnten Akustik der Afrika-WM zuordnen zu können? Oh, die Tröten, muss wohl 2010 gewesen sein. Muss man wirklich jedem Jammerer ein “Dann stell’ halt den Ton leiser!” zupfeffern oder sollten die auf diese naheliegende Bewältigungstaktik nicht von selbst kommen?

Was ist an den Vuvuzelas eigentlich so schlimm? Die Lautstärke an sich? Nun, ein Fußballspiel ist keine Kinderkrippe, und 80.000 Unterstützer im Westfalenstadion sind auch nicht viel leiser. Die nervige Frequenz? Ist ungewohnt, ja, so ungewohnt wie Höhenluft, Winter im Sommer oder Bauhelme als Fanutensil. Die Tröten-Permanenz? Hmm, mag sein. Aber sind Dauertrommler oder -singer denn so viel besser als Dauertröter? Sind die Vuvuzela-Feinde zu verärgert, um den Volumenknopf ihres Heimkinos einfach und ohne augenrollenden Meckermonolog runterzudrehen?

Ist denen das Dauergetröte im Fernsehen in der Tat fußballverhindernd zu laut?

Ja? Tja. Dann muss das wohl so sein. Ich hingegen freue mich, mal guten Fußball in etwas anderem Kleide sehen zu können, auch wenn dieses “Andere” eben aus abertausenden Plastetröten besteht. So sei es. Entweder man ist dabei, oder man ist es eben nicht, weil einem das Gesummse auf den Keks geht. Aber zusehen und dann permanent mosern finde ich mittlerweile ermüdender als die Tröten selbst. Die eigene WM-Begeisterung sollte doch vom Fußballspiel und nicht von der Atmosphäre im Stadion – wie komisch die auch immer sich anhören möge – hervorgerufen werden.

Ich hoffe nun auf weitere aussagekräftige Vuvuzela-Klagelieder in den nächsten Tagen, auf dass dann aber bitte auch Schluss ist damit. Es geht schließlich auch um Fußball. Doch weil sich selbst Günter Netzer wegen der Tröten zu einem jetzt schon legendären Lachanfällchen hinreißen ließ, hier wenigstens noch der Hinweis auf ein ziemlich ordentliches Anti-Tröten-Cover: Lass die Finger von der Vuvuzela!

Und FIFA-Chef Sepp Blatter hat die vorigen Absätze vor einiger Zeit mal sehr schön und vor allem lautmalerisch höchst interessant in knapp 30 Sekunden gepackt. Sein Fazit: This is Africa!

Foto: Martin Abegglen via Flickr unter CC-Lizenz by-sa
Kategorien
Sport

Jammern über Jabulani

Weighing of 2010 World Cup balls

Morten Olsen! Iker Casillas! Gianluigi Buffon! Julio Cesar! Luis Fabiano! Fabio Capello! Ihr Memmen! Öl überflutet die Meere, Vulkane husten und prusten, Präsidenten werfen Hand- und Taschentücher. Und was tun so verdienstvolle Fußballer und Trainer wie ihr?

Ihr jammert über Jabulani, den WM-Ball.

Es ist schade, dass in einem so bedeutenden Wettbewerb wie einer Weltmeisterschaft ein so wichtiges Element wie der Ball einen so abgründigen Charakter hat.

Herr Casillas! Ich bitte Sie! Bälle haben einen abgründigen Charakter so wie Außenlinien zur manischen Depressivität neigen, nämlich gar nicht! Sie mögen anders fliegen als andere Bälle, aber die Grundvoraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Fußballspiel sind gegeben: rund, knapp ein halbes Kilo schwer, aufgepumpt.

Der Ball ist furchtbar. Schrecklich. Er gleicht den Bällen, die es im Supermarkt zu kaufen gibt.

Herr Cesar! Ich bitte Sie! Den Jabulani gibt es im Supermarkt zu kaufen. Und wenn nicht jetzt, dann bestimmt bald. Und dass Sie als von Nike Ausgerüsteter den adidas-Ball beschimpfen, ist nun auch nicht sonderlich originell.

Für Torhüter ist der Ball fürchterlich, er bewegt sich dauernd. Auch meine Spieler haben Schwierigkeiten mit der Ballkontrolle.

Herr Capello! Ich bitte Sie! Ein Ball, der sich bewegt? Und auch noch dauernd? Skandal! Und wenn die von Ihnen trainierten Spieler Probleme mit der Ballkontrolle bekommen, weil sie mit einem anderen Ball spielen, sollten sie vielleicht mal ihr Technik-Training überdenken.

Er verändert plötzlich seine Flugbahn. Es ist, als ob er sich nicht treten lassen will. Es ist unglaublich – als ob jemand den Ball steuert. Du willst ihn kicken, und er bewegt sich zur Seite. Ich denke, das ist übernatürlich und sehr übel.

Herr Fabiano! Ich bitte Sie! Wer möchte sich schon gerne treten lassen? Und außerdem glaube ich, dass Sie zuviel Erich von Däniken und Stephen King lesen. Wenn, ja wenn ein übler Übernatürlicher Dinge auf dieser Erde von irgendwoher steuern oder lenken könnte, dann wären dies mit Sicherheit nicht bestimmte Fußbälle einer bestimmten Fußballherstellfirma.

Ich glaube, dass es eine Schande ist, ein so wichtiges Turnier mit solch einem Ball zu spielen.

Herr Buffon! Ich bitte Sie! Ich glaube, dass es eine Schande ist, den baldigen Start eines Fußballgroßturniers allein daran zu erkennen, dass weltweit Klagelieder über Arbeitsgeräte angestimmt werden. Ich glaube auch, dass es eher eine Schande ist, darauf zu bestehen, mit rechtsextremen Schlüsselsymbolen auf dem Hemd zu spielen.

Wir haben mit einem unmöglichen Ball gespielt, an den wir uns erst noch gewöhnen müssen. Es war sehr schwierig, diesen Ball zu kontrollieren und ihn bei Pässen auf Tempo zu bringen.

Herr Olsen! Ich bitte Sie! Wenn man möchte, dass ein Ball schneller von A nach B fliegt, einfach mal stärker gegentreten. Wenn das nicht klappt, einfach mal in den Kraftraum gehen. Wenn das zu umständlich ist, einfach mal den Beruf wechseln.

Generell ist festzuhalten: Gut bezahlte Profifußballer beschweren sich mimosiger als meine Tochter beim Spinatessen über etwas, was ihnen eigentlich zugute kommt, nämlich die fortdauernde Entwicklung von neuen Bällen zu den EM- und WM-Endrunden. Neue Bälle, neuer Umsatz, neues Geld. Der Ball mag anders fliegen und meinetwegen unberechenbarer geworden sein – echte Männer nehmen das zur Kenntnis und zum Anlass, sich darauf einzustellen und halt mal ein wenig mit dem Ding zu üben.

Findet im übrigen auch Ex-Nationalspieler René Müller, der dieses Interview ganz ähnlich beschließt:

Aufhören zu jammern und sich an den Wasserball gewöhnen. Alles andere hilft ja auch nicht.

Kategorien
Sport

Sportarten, die es auch noch gibt: Broomball

broom – der Besen
ball – der Ball

Häh? Besenball? Heißt das nicht eigentlich Quidditch? Nein, Harry Potter hat mit Broomball nix zu tun. Broomball ist Eishockey ohne Schlittschuhe, dafür mit besenartigem Schläger.

Selbst schon mal Broomball gespielt hat die Journalistin Diana Laarz, die derzeit in Moskau arbeitet – und Broomball spielt. Ihr Bericht „Alles besenrein“ beschreibt sehr anschaulich, wie schwierig es ist, in voller Montur auf glatten halbwegs eine gute Figur abzugeben.

Laut Lexikon haben ein paar Kanadierinnen im frühen 18. Jahrhundert den ersten Broomball gespielt. Es gibt Welt- und Europameisterschaften, ein deutsches Team und eine Frustventilfunktion, die dem großen Bruder Eishockey ziemlich ähnlich ist.

Broomball II

foto:dailyinvention
Kategorien
Sport

Wie steht es um den deutschen Fußballosten?

Der deutsche Fußballosten. Der eine sieht ihn verschwinden und empfindet Mitleid jedoch als eher unangebracht. Der andere zieht optimistische Vergleiche mit Kiel und Saarbrücken und empfindet Mitleid als fehl am Platz. Ich kenne diesen Fußballosten gar nicht persönlich und stecke meine Nase mal lieber in die Vergangenheit:

So. Rein quantitativ betrachtet krepeln in den ersten drei Fußballebenen genau so viele Ostvereine herum wie noch vor vier und fünf Jahren. Die konstantesten von ihnen – Hansa Rostock, Union Berlin, Energie Cottbus – sehen sich in der zweiten Liga, und auch die Drittligisten Dresden, Erfurt, Aue und Jena sind mitnichten überraschende Emporkömmlinge. Würde man sich den Spaß machen und die Zuschauerzahlen dieser Klubs mal in Verhältnis zu irgendwas setzen, wäre vielleicht auch nicht so viel von Mitleid, welcher Art auch immer, die Rede.

Qualitativ gewichtet sieht es ein wenig anders aus, in der Tat wird hier ein gewisser Abwärtstrend sichtbar. Das liegt an der künftigen Nichtteilnahme des Fußballostens an der Bundesliga, aber auch an der Umstrukturierung der Regionalligen. Und vor gerade mal zwei Jahren ist nach dieser Rechnungsweise das beste Ost-Ergebnis (2xBL, 2x2L, 6xRL) der vergangenen Dekade zu konstatieren.

Lassen wir spaßeshalber die dritten Ligen außen vor, ergibt sich ein ähnlich diffuses Bild. Die soeben vergangene Saison waren es lediglich Cottbus und Hansa, die in Liga eins und zwei mitspielten, vor zehn Jahren gab es eine ähnliche Konstellation, nur gab es damals noch die Regionalliga Nordost, quasi eine Reinkarnation der DDR-Oberliga. Mit einer Ausnahme spielten immer zwei bis fünf Ostklubs in Bundes- und 2. Liga, ein Trend ist hier nicht zu erkennen.

Unter dem Strich ergibt sich folgendes Fazit: Ja, der Fußballosten verschwindet – stützt sich der Analysator größtenteils auf die Teilnahme und den Erfolg von Ostvereinen in der Eliteklasse. Nein, es gibt ihn und er lebt – löst man sich von der Bundesliga und sieht mal nach, wie es darunter so kreucht und fleucht. Und findet jemand mal verlässliche Zahlen, wie viele hoffnungsvolle Ost-Fußballer zwecks Ausbildung, Studium oder generellem Geldverdienen gen Westen zogen, braucht niemand mehr pünktlich zum Saisonende Mitleid, Traurigkeit oder Ärger herauszukramen.

Es ist eben so.

Kategorien
Sport

Ein Abend mit Kutte An der alten Försterei

Es gibt Fußballvereine, die kann man anhand ihrer Titelvitrine beschreiben. Bei manchen ist es die Fankultur oder das Festgeldkonto, die Nachwuchsarbeit, die Jahrtausende alte Tradition oder das Fehlen derselben, das den Klub auf die Schnelle am besten charakterisiert. (Und wer wollte bestreiten, dass Fußballklubs keinen Charakter haben.) Manche Vereine erschließen sich manchem hingegen zuerst auch über ihr Stadion.

Stadion_an_der_Alten_Försterei

Foto: Lear21 unter CC-Lizenz by-sa

Für mich ist Union Berlin so ein Verein.

Das ist lustig, denn dieser neblige Februar-Abend vor acht Jahren war mein erstes und bislang einziges Mal in der Alten Försterei. Pokalhalbfinale, Union gegen Gladbach. Das Spiel Regional- gegen Zweitligist hatte mehr als 18.000 Zuschauer gelockt, darunter auch zwei Eventfans, die ungewollt an Karten gekommen waren. Zusammen mit ganz viel Ostberlin strömten wir gen Stadion, als uns Hungrige die bekannte Melange von Bockwurst, Weißbrot und Senf in ein geselliges Gasthaus zog.

„Ey, wer seidn iaa?“
„Öh, wir möchten gerne was essen.“
„Möchten? Gerne?“

(Lachen)

(Pause)

(Nochmal Lachen)

„Wüat! Zwee Wurst, zwee Bia! Und jetzt Fresse jehalten und dahinten inne Ecke, kla?!?“
„Öh, wir würden aber gerne …“

Ich weiß noch genau, wie ich meinen Freund damals bewundert habe ob seiner zidaneschen Körperbeherrschung, als er in der berstend vollen Unionkneipe mit vollem Bierglas und Bockwurst in den Händen von so ’ner ollen Kutte erst in seinem Widerspruch unterbrochen und dann in die Nische zwischen Tresen und Klotür hineindrangsaliert wurde. Und ich sehe auch noch diesen anthropologisch angehauchten Blick des Wirtes, der dieses Initiations-Ritual offenbar gut kannte und meinem Freund nur stumm riet: „Mach jetzt einfach mal gar nichts.“

Offenbar weil ich kameradenschweinig und feige gewesen war und nicht edel solidarisierend protestiert hatte, wurde ich ebenfalls grobschlächtig in die Ecke komplimentiert; aber das Bier war kühl und billig, die Wurst fettig und lecker, die Kneipe laut und vorfreudig. Irgendwie kamen immer noch mehr Menschen hinein, ohne dass gehende Gäste für Volumenentlastung sorgten. Die olle Kutte hatte uns längst eine Runde spendiert, sicherheitshalber hatten wir prompt zurückspendiert, und so kam man bald ins Gespräch.

„Kommpt wohl nich von hia, wa?“
„Nein, wir kommen …“
„Na dit merkich. Wollta ma dit Stadion sehen?“

Wir verzichteten auf die naheliegende Replik Na logisch, Alta, wat gloobste, wofür die Karten hia sind? und wurden durch Kutte sicher zurück in die Welt des Sauerstoffs geleitet. Und erst nachdem die Försterei „je-entat“ (O-Ton Kutte) war, wussten wir sein Angebot allmählich zu deuten. Kutte zeigte uns das ganze Stadion, sein Stadion, wie er mehrmals pathetisch in die Köpenicker Abendluft raunte. Eine halbe Stunde lang dackelten wir in der Alten Försterei einem angetrunkenem Union-Fan hinterher, der Stadion-Anekdote an Stadion-Anekdote reihte und mich noch heute meine verdammte Faulheit verfluchen lässt, damals nicht in der Nacht noch alles aufgeschrieben zu haben.

Zwischenzeitlich glaubte ich, der permanent gestikulierende und stets voranschreitende Mittvierziger hätte uns über seine Fußballplatzgeschichten von A wie Anzeigetafeln bis Z wie Zoolautierende Gästefans vergessen. Doch dann, wir kamen gerade bei unseren Plätzen auf der Haupttribüne an, der Anpfiff nahte, die Einführung in die Stadionkunde hallte noch durch unsere Köpfe, der Fanblock gegenüber sang sich gerade warm, dann drehte sich Kutte plötzlich um.

Dit is mein Stadion, vastehste?“

Er lachte noch kurz und ging. Und wir hatten vastandn. Union gewann schließlich mit 6:4 im Elfmeterschießen, wir erwischten den damaligen Gladbacher Trainerschüler Michael Frontzeck nach der Pressekonferenz herzhaft in die diesige Nacht fluchend, und Kutte muss die vergangenen Monate im Jahn-Sportpark-Exil wohl ziemlich gelitten haben.

Aber alles egal. Union ist aufgestiegen, Union hat ein neues Stadion. Herzlichen Glückwunsch.

Kategorien
Sport

Gebt mir ein U!

Wahlweise mit einem oder auch zwei Binnen-F verwendet sowie beliebig erweiter- oder modifizierbar, ist die possierliche UFFTA mittlerweile in den meisten Stadien der Republik angekommen. Stimmt die Chemie zwischen Fans und Mannschaft, schwappt der lebensfrohe Gesang durchaus auch auf den Rasen über. Wie so etwas aussieht, demonstrieren hier in höchst anschaulicher Weise ein paar junge Männer aus Malchow, nachdem der Aufstieg des hiesigen SV 90 aus der Verbands- in die Oberliga klar gemacht war:

Zur Geschichte des UFFTA nur soviel: Adaptiert vom in den 60er Jahren entstandenen Humba Tätärä des Mainzer Komponisten Toni Hämmerle waren es Berliner Eishockeyfans, die das klassische Humba bei einem Gastspiel der Kölner Haie in Berlin mal eben kreativ in ein Uffta verwandelten (Quelle). Folgend eine Aufführung des klassischen Humbas, wobei die erstaunten Blicke des New Yorker Publikums besonders erwähnenswert sind: